zur Betätigung in den Künsten gereizt und angeleitet würde. Er°
ziehung zum Begreifen, das ist's, was noch immer not tut.
Es ist bis zu einem gewissen, recht hohen Grade möglich, durch
Unterweisung und Abung Gut und Schlecht in den Künsten unter-
scheiden zu lehren. Die Ergebnisse werden zweifellos je nach der natür-
lichen Empfindungsstärke recht verschieden sein; doch das sind sie ja
in jedem Lehrfach, sogar im Schönschreiben. Mindestens die läppische
Verwechslung von Süße mit Schönheit, von Stoff- mit Gestaltungs-
wert kann ausgetrieben werden. So gut wie heutzutage jeder Deutsche,
der kein Idiot ist, seinen Namen zu schreiben weiß, so gut muß jeder
(und jede!) lernen können, die Elemente des Kunstbegrcifens in sich
aufzunehmen. Es ist noch lange keine Kennerschaft, die damit verlangt
wird.
Allerdings müßte damit recht frühe angefangen werden. Gar viele
würden dann im Alter der Berufswahl schon wissen, daß sie in der
Kunst nichts — es sei denn ein verschwiegenes Privatvergnügen — zu
suchen haben, und sie würden brave Handwerker, Kaufleute oder Beamte
werden. Die übrigen würden nicht ihr Leben lang sinnlos auf „Kunst"-
Märkte (insofern solche dermaleinst noch da wären) laufen, wo sie keine
gekonnte Kunst finden könnten; und sollten sie doch einmal dorthin
geraten, so würden sie sich nicht auf Schritt und Tritt bloßstellen. Auch
das müßte gelehrt werden: daß Naturen, die durchaus kein Verhältnis
zu dieser oder jener oder zu jeder Kunst gewinnen können, daß die
keineswegs verpflichtet sind, in Kunstsachen Anteil zu heucheln und mitzu-
urteilen.
Hinter diesen nächsten, greifbaren Früchten einer wohlverstandenen
Vorbildung zur innigeren Teilnahme am Leben der Kunst wachsen
höhere, weit reichere freilich nicht für jeden. Sie spenden tiefsten
Daseinsgenuß, Edelräusche (die keinen Iammer im Gefolge haben), An-
dacht, Herzensgehalt und starkes Erfühlen aller Zusammenhänge.
Willy Nath
Und nun „ein ander Bild", nun praktische Vorschläge für Aus-
stellungen selber:
Von der Kunstausstellungskrankheit
Wenn in irgendeiner großen Stadt eine der bekannten großen Kunst-
ausstellungen eröffnet wird, so wird im Verlauf der nächsten sechs Wochen
die Kunstausstellungskrankheit epidemisch. Wir meinen da nicht die des
schleichenden Defizits, die nach langer Inkubation erst gegen Ende der
Ausstellungsdauer ausbricht, aber nur für Garantiefondszeichner gefähr-
lich ist. Wir meinen auch nicht die Berufskrankheit des ästhetischen Kollers,
die nur die Gruppe der im Amt oder Nebenamt kunstkritisch tätigen
Schriftsteller befällt. Sondern die Krankheit der Ausstsllungsbesucher.
Diese hat große Ahnlichkeit mit der Seskrankheit. „Ein eigentümliches
Anwohlsein, das den Besucher auch bei übrigens vollständiger Gesundheit
zu befallen pflegt. Es beginnt mit Abelkeit und Schwindel und steigert
sich bis zu wiedcrholtem Erbrechen, worauf endlich Ancmpfindlichkeit
gegen andere Einflüsse und gänzlicher Lebensüberdruß bei meist ungetrüb-
tem Bewußtsein folgen", sagt Brockhaus.
Ich kann mir nicht versagen, ein Mittel gegen die Ausstellungskrankheit
(2H Kunstwart XXII, 2(
ziehung zum Begreifen, das ist's, was noch immer not tut.
Es ist bis zu einem gewissen, recht hohen Grade möglich, durch
Unterweisung und Abung Gut und Schlecht in den Künsten unter-
scheiden zu lehren. Die Ergebnisse werden zweifellos je nach der natür-
lichen Empfindungsstärke recht verschieden sein; doch das sind sie ja
in jedem Lehrfach, sogar im Schönschreiben. Mindestens die läppische
Verwechslung von Süße mit Schönheit, von Stoff- mit Gestaltungs-
wert kann ausgetrieben werden. So gut wie heutzutage jeder Deutsche,
der kein Idiot ist, seinen Namen zu schreiben weiß, so gut muß jeder
(und jede!) lernen können, die Elemente des Kunstbegrcifens in sich
aufzunehmen. Es ist noch lange keine Kennerschaft, die damit verlangt
wird.
Allerdings müßte damit recht frühe angefangen werden. Gar viele
würden dann im Alter der Berufswahl schon wissen, daß sie in der
Kunst nichts — es sei denn ein verschwiegenes Privatvergnügen — zu
suchen haben, und sie würden brave Handwerker, Kaufleute oder Beamte
werden. Die übrigen würden nicht ihr Leben lang sinnlos auf „Kunst"-
Märkte (insofern solche dermaleinst noch da wären) laufen, wo sie keine
gekonnte Kunst finden könnten; und sollten sie doch einmal dorthin
geraten, so würden sie sich nicht auf Schritt und Tritt bloßstellen. Auch
das müßte gelehrt werden: daß Naturen, die durchaus kein Verhältnis
zu dieser oder jener oder zu jeder Kunst gewinnen können, daß die
keineswegs verpflichtet sind, in Kunstsachen Anteil zu heucheln und mitzu-
urteilen.
Hinter diesen nächsten, greifbaren Früchten einer wohlverstandenen
Vorbildung zur innigeren Teilnahme am Leben der Kunst wachsen
höhere, weit reichere freilich nicht für jeden. Sie spenden tiefsten
Daseinsgenuß, Edelräusche (die keinen Iammer im Gefolge haben), An-
dacht, Herzensgehalt und starkes Erfühlen aller Zusammenhänge.
Willy Nath
Und nun „ein ander Bild", nun praktische Vorschläge für Aus-
stellungen selber:
Von der Kunstausstellungskrankheit
Wenn in irgendeiner großen Stadt eine der bekannten großen Kunst-
ausstellungen eröffnet wird, so wird im Verlauf der nächsten sechs Wochen
die Kunstausstellungskrankheit epidemisch. Wir meinen da nicht die des
schleichenden Defizits, die nach langer Inkubation erst gegen Ende der
Ausstellungsdauer ausbricht, aber nur für Garantiefondszeichner gefähr-
lich ist. Wir meinen auch nicht die Berufskrankheit des ästhetischen Kollers,
die nur die Gruppe der im Amt oder Nebenamt kunstkritisch tätigen
Schriftsteller befällt. Sondern die Krankheit der Ausstsllungsbesucher.
Diese hat große Ahnlichkeit mit der Seskrankheit. „Ein eigentümliches
Anwohlsein, das den Besucher auch bei übrigens vollständiger Gesundheit
zu befallen pflegt. Es beginnt mit Abelkeit und Schwindel und steigert
sich bis zu wiedcrholtem Erbrechen, worauf endlich Ancmpfindlichkeit
gegen andere Einflüsse und gänzlicher Lebensüberdruß bei meist ungetrüb-
tem Bewußtsein folgen", sagt Brockhaus.
Ich kann mir nicht versagen, ein Mittel gegen die Ausstellungskrankheit
(2H Kunstwart XXII, 2(