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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,4.1909

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1909)
DOI Artikel:
Schulz, Otto: Technik und Kultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.8817#0297
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Iahrg.22 Erstes Septemberheft 1909 Hest23

Technik und Kultur

^i^mmer stärker wird die Reaktion wider die ungewöhnlich rasche
^ 1 und glänzende Entwicklung der modernen Technik. Zuerst der
E^)scheinbar nicht ganz gegenstandslose, aber nun oft genug wider-
legte Einwand, daß die Maschine „die Arbeit entgeistige"* und nun
neuestens gar Zweifel, ob die Technik überhaupt Kulturwert habe.

So sagte Werner Sombart in einem Vortrage: „Alle die Mög--
lichkeiten, die der Dämon des Erfindungsgeistes uns gegeben hat,
lösen sich, w,enn wir die Frage stellen, was sie uns denn wirklich
bringen, in nichts auf. Wozu brauchen wir soviel Licht in der Welt?
Weil wir in den Städten zusammengepfercht wohnen, und weil wir
abends zu Hunderttausenden durcheinanderlaufen, was natürlich be-
leuchtet werden muß. Wozu brauchen wir in der Luft herumzufliegen?
Was brauchen wir das Telephon, welchen Sinn hat die Erfindung
des Grammophons? Eine geschmackvolle Zeit würde einen Mann,
der das Grammophon erfindet, mit lebenslänglichem Zuchthaus be-
strafen. Um unser Wohlbefinden kümmert sich der Dämon Erfin-
dungsgeist nicht, er liefert uns bloß den Lärm und Gestank und —
da er materielle Güter schafft, die wieder zur Bevölkerungszunahme
führen — liefert er uns die Masse. Zweifellos hat sich die Wissen-
schaft, wo sie der Technik genützt hat, als sehr fruchtbar erwiesen,
aber unsre wirklichen Einsichten in das Wesen der Dinge sind heute
nicht um einen Deut größer, als es früher der Fall war. Nichts hat
die moderne Kultur für unser inneres Leben, für unser Glück, unsre
Zufriedenheit, unsre Tiefe geleistet."

Und vr. Möller fragt im „Türmer" bei dem Thema „Technik,
Kultur und Kunst": „Kann man sich heute in jenem durch die Technik
aufs reichste ausgestatteten öffentlichen Leben reichere Geister denken
als einen Homer, einen Dante, einen Shakespere, einen Goethe oder
Schiller?«

Soweit sich in diesen Ausführungen eine Warnung gegen die
kritiklose Äberschätzung der modernen Industrie ausspricht, sind sie
sicher berechtigt. Denn da sieht es manchmal wirklich aus, als
wäre die Industrie um ihrer selbst willen da, als müßten ihr alle
andern menschlichen Einrichtungen dienstbar sein und als müßte ihr
alle persönlich-menschliche Kultur geopfert werden.

In Wahrheit ist auch der Industrie und Technik nur eine Teilrolle
in der menschlichen Entwicklung zu größerer Kultur und größerer
Harmonie zugewiesen. Am seine Bedürfnisse, körperliche und geistige,
zu befriedigen, muß der Mensch arbeiten. Diese Arbeit zu erleichtern
und zu vervollkommnen, ihren Wirkungsgrad zu erhöhen, ist Auf-
gabe der Technik. Die Technik ist die Kunst der Arbeit.

Dank der Technik vermag der moderne Mensch mit-weniger Zeit-
und Kraftauswand ein Brot zu backen, ein Gewand zu fertigen,

* Verf. in der „Welt der Technik", Nr. H, GOA

b Septemberheft OOH

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