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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,4.1909

DOI issue:
Heft 24 (2. Septemberheft 1909)
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Avenarius, Ferdinand: Thoma: zu seinem 70. Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.8817#0374
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Iahrg.22 ZweitesSeptemberheft 19OS Heft24

Thoma

Zu seinem 70. Geburtstage

ans Thoma hält nicht viel von Kritik, wenn ich meinerseits
H^über ihn schreiben will, nehm ich mir aber trotzdem jedesmal
^>vor, besonders kritisch zn sein. Erstens, er hat jetzt bis auf ein
kleines übermodernes Feindesfähnlein eigentlich nur noch Propheten
rings. Zweitens, ich kann das wohl begreifen, denn auch ich mag
ihn beinah unbändig gern. So muß sich unsereiner vor der eigenen
Besangenheit hüten, sonst schießt er übers Ziel. Es bleibt deshalb
doch die Frage, ob das Skeptischseinwollen auch glückt. Der Ruf
„Thoma!" ist ja so gar kein Signal „zur Kritik!" Klingt er in den
Alltag, so machen wir die Augen zu und denken an seine Bilder —
dann erweitert sich's an Stelle der Stubendecke zu lachendem Himmel
mit Wölkchentanz, und unten beginnt ein Sprossen und Blühn, das
nur nach Auge und Herz, aber gar nicht nach Brille und Lupe
verlangt. Auch dann nicht, wenn der Mond aufgeht und der Fiedler
geigt und das Märchenerzählen und das Spuken beginnt.

Warum hat es gar so lange gebraucht, bis mehr als einige wenige
Menschen bei Thoma ihr Behagen fanden?

Nichts erfassen die Leute schwerer, als den Reichtum einfacher
Natürlichkeit. Wie der Schiffer das Meer, so hört der Durchschnitts--
mann die große Natur nicht, wenn nicht irgendwas Extraes passiert.
Himmelblau und Wiesengrün, Tiergrasen, Kinderfreuden und Greisen--
gesichter haben nichts Erstaunliches für den, der nicht sehn kann, und
nun gar, wenn sie einer nicht mit irgendwie raffinierter Virtuoserei,
sondern bloß wiedergibt, wie er sie mit dem innern Auge schaut. Dazu
kommt, daß zumal die Großstädter mit den meisten Dingen der Natur
ja gar nicht aus eignem HLufigen Beobachten vertraut sind, sondern nur
aus Abbildungen, so daß wirklich natürliche Formen und Farben
oft so lange befremden, bis der Maler seinen Kredit weg hat. Dann
glaubt man ihm — und glaubt zugleich, man sähe selbst die Dinge ja
lange schon so. Fürs Besondere aber, fürs Extrae sorgen im Kunstleben
die Theorien, Moden und Sensationen; für deren Niederschlag inter--
essiert sich, wer da gebildet ist, nicht sür das Leben, das etwa aus
Lebenszeugnissen spricht. So scheint es gar nicht wunderlich, daß man
so lange gar nicht gesehen hat, was Thoma gab. Das „Wie" stand
bei ihm außerhalb der „Probleme", um welche die Maler vor den Kunst--
freunden schauturnten, und das „Was" schien, ach, schon hinterwäld--
lerisch banal. Aber einzelne überzeugte Thoma, und ein Äberzeugter
überzeugt ja allmählich zwei, die zwei vier, die vier acht, und dann
geht's wie mit den Weizenkörnern auf dem Schachbrett. Nicht bloß
durch ein Aufreden; günstige Voreingenommenheit führt doch auch
dazu, neben den Werten, die man hineinsieht, die Werte zu sehn,
die drin sind. Nur ist die Frage, ob der Thoma, den sich jetzt die
große Menge aus seinen Bildern holt, mehr als ein Stück Thoma
und ob dieses Stück sein bestes ist. „Heimatkünstler", sagen die einen,

2. Septemberheft OOst

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