die Tasche, die man Gedächtnis
nennt. Darin liegt aber ein Haupt--
grund für die eminente Kulturlosig--
keit nnserer „Kultur". In unsern
Schulen ist der Weg der meisten ein
Weg fortschreitender Einschläferung
des Wachstumswillens, der bei den
Kleinen so erquicklich rege ist, den
wir bei den Größeren kaum noch
merken und erst mühsam wiedcr
wecken müssen.
Dies ist die allgemeine Lage, ohne
deren eingehende Berücksichtigung
alles Reden über Einzelreformen
zwecklos ist. In den Debatten zur
Weiterbildung und Neugestaltung
unseres Religivnsuntsrrichts wird
sie tatsächlich allzusehr übersehen.
Solange der Grundgeist unsres Uu-
terrichtens „Katechismus" ist, wird
auch kein besserer Religionsunter-
richt möglich sein, und wenn wir
den ganzen Katechismus daraus
entfernen. Wenn jener Grnndgeist
ein andrer wird, dann kann und
wird ein besserer Religionsunter-
richt von selber werden, sogar für
den Fall, daß der ganze Luthersche
Katechismus Gegenstand der Be°
handlung in besonderen Stunden
bleibt! Eine Gesundung jenes auto-
ritativ-dogmatischen Geistes unsrer
Schule kann aber nur kommen durch
Besinnung auf das Kind. Das
wird an allen Orten gesagt, aber
kaum irgendwo getan. Für die Pro-
bleme des Religionsunterrichts ist
Röttgers kleines Buch wohl der erste
crnsthafte Versuch.
Röttger stellt das Problem mit
aller Klarheit heraus: „Was ist das
Kind? Wie ist es? Wonach geht
sein Interesse? Fühlt, erlebt es
Gott? Wie steht es zur Religion
des Erwachsenen?" Ich möchte vor
allem fragen: Wie stellt es sich
zur Religion der Erwachsenen? So
bildet mit vollstem Necht das „Mate-
rial", das diesen Fragen Antwort
geben soll, den Hauptteil des Buches.
Hier geht er im wesentlichen aus
von der Besinnung auf seine eigene
Kindheit und teilt Erinnerungen
mit, die seine religiöse Entwicklung
betreffen. Ahnliche Mitteilungen
sind ihm vorwiegend von Mitglie-
dern des Kreises um Berthold Otto
zur Verfügung gestellt worden. Aus
der vorhandenen Literatnr kommen
Gottfr. Keller, W. v. Kügelgen, Heb-
bel, M. v. Ebner-Eschenbach und
Richard Kabisch zu Wort.
Dies, meine ich, ist ein falscher
Weg. Denn einmal fließt die Quelle
der Erinnerung recht spärlich: es
sind immer nur wenige irgendwie
vor anderen ausgezeichnete Er-
lebnisse, die auch im Gedächtnis des
Erwachsenen noch haften. Sie geben
allein; dadurch schon ein verschobenes
Bild. Bekannt ist ferner, wie sehr
gerade gefühlsstarke Erinnerungcn
im Laufe längerer Zeit sich wandeln;
so sind diese Materialien nicht ein-
mal hinsichtlich ihrer Trene zuver-
lässig. Vor allem aber: Dieser Weg
führt fast notwendig zu dem alten
Fehler, die eigenen Erfahrungen
unbesehen zu verallgemeinern. Ge-
rade diesem bedenklichsten aller Feh-
ler begegnen wir in dem Vüchlein
oft. Also: dies Material ist mehr
als lückenhaft, unzuverlässig und
leicht sogar irreführend. Sehr wert-
volle Anregungen kann es geben,
aber nirgends eine verläßliche
Grundlage zur Beantwortung
der Frage, für die es zusammen-
gestellt ist.
Fast nnr nebensächlich kommen
in der Sammlung auch die Kindcr
selbst zum Wort: ein paar Tage-
buchaufzeichnungen Erwachsener, die
Kinderäußerungen festhalten; ein
Gespräch mit Kindern über Gott
und Dreieinigkeit; die Nacherzäh-
lung einer biblischen Geschichte von
einem sechsjährigen MLdchen. Das
ist alles, und meist fehlcn alle
Altersangaben, die denn doch recht
94 Kunstwart XXII, 20
nennt. Darin liegt aber ein Haupt--
grund für die eminente Kulturlosig--
keit nnserer „Kultur". In unsern
Schulen ist der Weg der meisten ein
Weg fortschreitender Einschläferung
des Wachstumswillens, der bei den
Kleinen so erquicklich rege ist, den
wir bei den Größeren kaum noch
merken und erst mühsam wiedcr
wecken müssen.
Dies ist die allgemeine Lage, ohne
deren eingehende Berücksichtigung
alles Reden über Einzelreformen
zwecklos ist. In den Debatten zur
Weiterbildung und Neugestaltung
unseres Religivnsuntsrrichts wird
sie tatsächlich allzusehr übersehen.
Solange der Grundgeist unsres Uu-
terrichtens „Katechismus" ist, wird
auch kein besserer Religionsunter-
richt möglich sein, und wenn wir
den ganzen Katechismus daraus
entfernen. Wenn jener Grnndgeist
ein andrer wird, dann kann und
wird ein besserer Religionsunter-
richt von selber werden, sogar für
den Fall, daß der ganze Luthersche
Katechismus Gegenstand der Be°
handlung in besonderen Stunden
bleibt! Eine Gesundung jenes auto-
ritativ-dogmatischen Geistes unsrer
Schule kann aber nur kommen durch
Besinnung auf das Kind. Das
wird an allen Orten gesagt, aber
kaum irgendwo getan. Für die Pro-
bleme des Religionsunterrichts ist
Röttgers kleines Buch wohl der erste
crnsthafte Versuch.
Röttger stellt das Problem mit
aller Klarheit heraus: „Was ist das
Kind? Wie ist es? Wonach geht
sein Interesse? Fühlt, erlebt es
Gott? Wie steht es zur Religion
des Erwachsenen?" Ich möchte vor
allem fragen: Wie stellt es sich
zur Religion der Erwachsenen? So
bildet mit vollstem Necht das „Mate-
rial", das diesen Fragen Antwort
geben soll, den Hauptteil des Buches.
Hier geht er im wesentlichen aus
von der Besinnung auf seine eigene
Kindheit und teilt Erinnerungen
mit, die seine religiöse Entwicklung
betreffen. Ahnliche Mitteilungen
sind ihm vorwiegend von Mitglie-
dern des Kreises um Berthold Otto
zur Verfügung gestellt worden. Aus
der vorhandenen Literatnr kommen
Gottfr. Keller, W. v. Kügelgen, Heb-
bel, M. v. Ebner-Eschenbach und
Richard Kabisch zu Wort.
Dies, meine ich, ist ein falscher
Weg. Denn einmal fließt die Quelle
der Erinnerung recht spärlich: es
sind immer nur wenige irgendwie
vor anderen ausgezeichnete Er-
lebnisse, die auch im Gedächtnis des
Erwachsenen noch haften. Sie geben
allein; dadurch schon ein verschobenes
Bild. Bekannt ist ferner, wie sehr
gerade gefühlsstarke Erinnerungcn
im Laufe längerer Zeit sich wandeln;
so sind diese Materialien nicht ein-
mal hinsichtlich ihrer Trene zuver-
lässig. Vor allem aber: Dieser Weg
führt fast notwendig zu dem alten
Fehler, die eigenen Erfahrungen
unbesehen zu verallgemeinern. Ge-
rade diesem bedenklichsten aller Feh-
ler begegnen wir in dem Vüchlein
oft. Also: dies Material ist mehr
als lückenhaft, unzuverlässig und
leicht sogar irreführend. Sehr wert-
volle Anregungen kann es geben,
aber nirgends eine verläßliche
Grundlage zur Beantwortung
der Frage, für die es zusammen-
gestellt ist.
Fast nnr nebensächlich kommen
in der Sammlung auch die Kindcr
selbst zum Wort: ein paar Tage-
buchaufzeichnungen Erwachsener, die
Kinderäußerungen festhalten; ein
Gespräch mit Kindern über Gott
und Dreieinigkeit; die Nacherzäh-
lung einer biblischen Geschichte von
einem sechsjährigen MLdchen. Das
ist alles, und meist fehlcn alle
Altersangaben, die denn doch recht
94 Kunstwart XXII, 20