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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,1.1911

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Heft 3 (1. Novemberheft 1911)
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9028#0290
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eine falsche Umgebung, bei Ausstellungen: ein falsches Zusammen-
hängen auf den Ausdruck der Kunstwerke wirkt.

Heut werden wir leichter dem berühmten Zeichner folgen, der uns hier
als Maler kommt. Wir haben seine Bilder von den Fliegenden her haupt-
sächlich wegen ihres Spiels mit Tonwerten in Erinnerung, das diese Holz-
schnitte oft wie ein Knitterspiel feinen Seidenstoffs erscheinen ließ — aber
ihre nächste Aufgabe war doch die: Szenen aus dem Gesellschafts-
leben zu illustrieren. Nicht von Farbe oder Licht, vom Lharakte-
ristischen aus kommen wir auch vor unserm Bilde am schnellsten an
seinen Künstler heran. Nur: hier ist keine Po intenkunst und überhaupt
keine satirische Kunst, das Ganze ist aus sehr freundlicher Stimmung
heraus entstanden. Bildnisse. Was geht denn vor? Es ist, nehmen
wir an: Geburtstag, jedenfalls ein kleines Fest. Der Backfisch im Staat
hat mit den auch an derbe Hausarbeit gewöhnten Händen vorgespielt, nun
heißt es aus unsrer, der Beschauer Gegend her, wo ums Sopha die
Nespektspersonen sitzen: „Wie wär's mit dem Stück?", und ihr ist
etwas herzklopferisch zumut, ob sie's kann, während die stehende Sängerin
sehr viel gemächlicheren Gemütes die Noten überprüft. Nochmals: Bild-
nisse. Nnd rein erlebte Situation von liebenswürdiger Intimität.
Bildnis ist augenscheinlich auch das Stück Zimmer, dessen Einrichtung
aus einer nun schon vergangenen Zeit stammt. Nnd was dis Farben-
gebung anbetrifft: sie ist nicht die Hauptsache, ist nicht das, worauf
das Ganze gesehen uird gestimmt ist, das gestaltende Zentrum des Bildes
liegt nicht hier. Viele wird diese Farbbehandlung eines Mannes, der
sehr fein zu sehn und sehr gut zu malen gelernt hat, auch heut noch
rege ansprechen, andre werden an ihr die vereinfachende Zusammen-
fassung vermissen, die man heute erstrebt. Vor unsrer Reproduktion
ist jedenfalls zu bedenken, daß sie eben eine photomechanische Reproduk-
tion ist und zwar eine mit starker Verkleinerung — daß also das Original
natürlich viel weniger bunt wirkt und an Feinheiten viel mehr gibt.

Von den schönen Radierungen Adolf Schinnerers ist den Lesern
des Kunstwarts schon zweimal (Kw. XXIII, 2 und XXIII, 21.) gesprochen
und sind ihnen beidemal Proben gezeigt worden. Die wir heut wieder-
geben, zeigt eins der innerlichsten Blätter unsrer jüngeren Kunst. Der billige
Witz hätte „erläuternde Worte" schnell bei der Hand: „sie wollten lüder-
lich sein und wurden sentimental". Aber wo ist hier Sentimentalität?
Kann der Durchbruch der Reinheit und der Reue im Menschen reiner,
phrasenloser — erschütternder mit einfachen Mitteln geschildert werden? Äber
Schinnerer als Radierer wollen wir heut nicht schon wieder sprechen, nur
auf die meisterliche Kompositionn des Blattes möchte ich aufmerksam machen.

Wesentlich muntrerer Art ist Hans Aulhorns „Erste AusfahrP
zum Blocksberg, denn die hier dargestellte junge Dame ist in ihrem Ge-
müt mit keinen andern Schwierigkeiten beschäftigt, als mit denen des
Balanzierens. Sie wird es zu etwas bringen, wie eine Rakete schießt
schon der Besen über die Irrlichtelei dort unten hin. Nach dem tragischen
Bilde das humoristische, das wie jenes nicht literarisch, sondern echt bild-
nerisch ist, weil es rein mit bildnerischen Mitteln wirkt: das Nngelenko
und Ansichere der Haltung des jungen Dings, wie ihr Ausdruck und wie
die Nachtstimmung bringen keine Anleihen von einem andern Kunst-
gebiete her, sie zeigen sich unmittelbar dem Auge. Die Nacht-

j. Novemberheft IM 239
 
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