Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0082

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
der Handlung nach gibt „Effi Brieft" eine so entschiedene
Polemik, wie fie eine Prosadichtung nur geben kann ohne
fich selbst, ohne eben ihren Charakter als Dichtung zu
Gunften von Tendenzschriftftellerei aufzugeben. A.

Musik.

» Micbtlgere MusiknuMbrungen.

Berliner Brief.

Vor einem Jahre erfchien in einer klemen Berliner
Wochenschrift ein Pamphlet auf Richard Strautz. Der
Verfasfer war fo ehrlich, fich zu nennen, aber feine Ehrlich-
keit konnte feinen Ruf nicht retten. Man entzog ihm den
freundschaftlichen Handschlag nach diesem Skriptum, in
welchem er den Schlutz von „Guntram" als eine Art
Netzler-Trivialität hinzustellen fich erdreiftet hatte. Man
entzog ihm den Handfchlag: denn ein Pamphlet auf
Strautz empfand man in jedem Falle als ein unwürdiges
Beginnen.

Wenige Tage darauf satz ich mit Weingartner, dem
Kapellmeister, Letzmann, dem Kritiker, Kienzl, dem Kom-
ponisten, Halir, dem Violinisten, an einem Tisch. Man
kam auf Strautz zu fprechen. Aber man machte zwei
Rubriken. Strautz als Dirigcnt begegnete manchem Kopf-
fchütteln, Strautz als Komponift hatte alle auf seiner
Seite. Ein Schweigen, ein Ehrerbieten trat ein, da man
feine Werke nannte. Halir erzählte von Strautzens neueftem
Werke „Till Eulenfpiegel" — er entzückte fich und wiegte
die Anderen in die fchönften Hoffnungen.

Nun ist der „Till Eulenspiegel" aufgeführt. Wein-
gartner dirigirte ihn, und Halir war sein Konzertmeifter.
Jch hörte ihn in der Generalprobe. Das Publikum be-
geifterte sich fehr und holte Weingartner zweimal hervor.
Alfo wieder ein Erfolg des Komponisten Strautz, der
Wunder nehmen mutz, wenn man bedenkt, wer Strautz ift
und wer das Publikum ist. Strauh ift einer der grötzten
lebenden Komponiften, und das Publikum ift das unkriti-
fchefte lebende Geschöpf. Wie verfteht das Publikum diese
ungemeine Kühnheit und wildverwegene Neuerung, die
aus Straußens Werken fpricht? Jch bin zu mufikalisch,
um mich auf das Niveau der Voraussetzungslofigkeit herab-
ftimmen zu können, das dem Durchschnittsverftändnis des
Publikums entfpricht. Wie können fie diefem grandiosen
Zuge der Phantafie, diesem unauslöschlichen Drange des
mufikalifchen Gedankens wirklich folgen? Wie können fie
wissen, was für ein Orchestergenie dieser Strüutz ift? Es
muß doch ein grundtiefer Jnstinkt des Musikalifchen in den
Seelen der Zuhörer eingeborcn liegen, der sie befähigt zu
ahnen, wo fie nicht begreifen können, und zu genießen,
wo fie nichts wifsen.

„Till Eulenfpiegel" ift das luftige Seitenftück zum
„Don Juan". Dort war es der Durft, der die Tiefen aller
Welten ausschöpfen will, hier ift es die Jronie, welche diese
Welten auslacht, weil sie fie erkannt hat. Dies Lachen ist nicht
kindisch, dumm und unerfahren, es ift die letzte Philosophie
des Mannes, der mit dem Leben fertig ist. Es ist darum
nicht weich und graziös, nein es ist stolz und gar felbst-
bewußt. Es ist nicht die Dekadenz eines entnervten Welt-
schmerzlers, es ist die Tollheit eines urgefunden lachenden
Philosophen. Es ist deutfch. Die deutsche Jronie kokettirt
nicht mit ihren süßen Schwächen und hat nicht die Ge-
berden des parfümirten Wollüftlings, fie tritt im Bauern-

kleide auf und ist immer guter Dinge und, wo fie fenti-
mentaler wird, singt sie im Volkstone.

Der Till Eulenspiegel des Strauß zieht fidel durch
die ganze Welt, die Welt der Liebe, der Moral, des
Philifteriums; fie wird ihm nur der Boden, auf dem er
seine tollen Späffe aufführt. Er treibts weit genug.
Als er die ganze Harmonie dieser fittlichen Weltordnung
unserer hochgebenedeiten Erde in tausend Scherllen zu zer-
fchlagen droht, wird er am Wickel gefasst und aufgeknüpft.
Sein letztes Lebenszeichen war ein ftolzes Lächeln und
die Erinnerung an ihn flicht sich in der Legende durch
Jahrhunderte fort.

Strauß hat für diefe Entwicklung eine Orchester-
sprache gefunden, gegei: welche die Kühnheiten eines Berlioz
Kindereien find. Es ist kein Orchefter mehr, es find eine
Reihe Menschen, die in heftiger dramatifcher Beweglichkeit
die Geschichte vom Eulenspiegel vortragen, und diese
Menschen sind Jnstrumente. Solche Souveränität der
Lebenswahrheit in der Orchestersprache ist die größte
Neuigkeit von allem Neuen, was diese symphonische Dich-
tung bietet. Was Berlioz ahnte, was Litzt wollte, Strautz
hat es in einer Weise und Vollendung und Originalität
gefunden, die jenen beiden Vorläufern nicht immer be-
schieden war. Vor hundert Jahren fchrieb Haydn noch
feine Symphonien. Von diefen bis zum Eulenspiegel ift
eine unermeßliche Entfernung. Man wird erst ganz lang-
sam erkennen, welche gewaltige kunsthistorische Bedeutung
dic symphonischen Dichtungen von Richard Strautz besitzen,
die den wichtigsten Vorstotz der modernen Musik in ihrer
zukünftigen Richtung darstellen: im Realismus.

Die lustigen Streiche Till Eulenspiegels zu dirigieren —
es ist vielleicht das fchwierigste Stück, welches je geschrieben
wurde, — dazu gehört eine Liebe zur Sache, die nur von
einem guten Orchester und einem guten Dirigenten er-
halten werden kann. W eingartner ist ein guter Dirigent,
das hat er allein durch diese That bewiesen. Er hat ein
ihm fremdes Werk aus der Partitur lebendig werden
lassen, als ob es wie eine Jmprovisation vor uns ent-
stände. Er hat es mit einem Feuer geleitet, datz er sast
aus dem gewohnten Stile heraustrat, den er sonst in
seiner Dirigententhütigkeit beobachtet. Er ist sonst der
Typus des ruhigen, mehr noch, des eleganten Dirigenten.
Er hat seine Methode — und diese Methode muß uns
interessieren, da seine Konzerte schon einen äußeren Erfolg
haben, der bisher in Deutschland nicht nachgewiesen ift —
er hat sie auch schriftftellerisch klarzulegen sich bemüht
und dabei eine historische Aufstellung gemacht, welche von
einem großen Gesichtspunkt ausgeht. Er beginnt die
Darstellung des modernen Dirigentenstils mit Wagner.
Er zeigt wie Wagners Subjektivität in Bülow sich steigerte
und mit pädagogischen Zielen verband. Diese Verbindung
sei gefährlich. Ein großer Kreis von Bülowschülern und
Nachahmern habe die Subjektivität im Dirigieren fo weit
getrieben, üatz man am Abgrunde angelangt sei. Die
Objektivität müsse wieder hochgehalten werden. Man
müsse sich selbst aus dem Spiele lassen und einzig denr
Komponisten sich unterstellen, dessen Werk man ausführe.
Nun ist wohl darauf zu erwidern, daß es einmal ohne
ein Gran Subjektivität überhaupt nicht abgehe, und
dann, daß man die übertriebene Subjektivität gerechter
Weife nur als einen Schatten des Lichts anzusehen
habe — nämlich des felbstfchöpferischen Dranges. Aber
mag sein, wir sind auf dem Punkte angelangt, daß der
Nachteil der Subjektivität ihren Vorteil überwiegt und
 
Annotationen