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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 9
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0154

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Anhalt in ihren Eigenschaften hat, also etwa in ihrer
Farbe oder ihrem Geruch, sondern daß er ganz allein von
außen durch unsere Erinnerungsvorstellungen hinzugetragen
wird, darüber sind wir doch einig? Oder etwa nicht?
Nun dann wollte ich Sie sosort überzeugen. Tödelet etwa
einem von uns der Moschusgeruch? Jm Gegenteil: er
demimondelet, er rendez-wuselet. Fragen Sie dagegen
einen Jndiensahrer; der verspürt beim Moschusgeruch die
Faust des Todes im Nacken. Folglich: nicht die besondere
Geruchsempfindung an sich bestimmt die Vorstellung,
sondern die zufällig sich damit verbindenden Gedächtnis-
bilder. Also, der kleine Gesühlschoc, der sich einstellt,
wenn der Anblick oder der Geruch einer gewissen Pflanze
die Erinnerung an ihre Verwendung bei Todessällen
wachruft, ist erklärlich und verständlich, sa in beschränktem
Sinn sogar verständig, nämlich naiv-verständig, kindlich.
Mehr oder weniger verspürt jeder auf seine Weise einen
solchen unwillkommenen Erinnerungseindruck, nur daß ihn
bei verschiedenen Menschen andere Gegenstünde erzeugen.
Mir z. B. tödelets, wenn ich einen Zahnarzt rieche, oder
einen Chirurgen sehe oder von einer glänzend gelungenen
Operation lese. Der Fehler beginnt, wenn dieser naive
Eindruck, statt durch den nachsolgenden vernünftigen Ge-
danken, den Gedanken, daß die begleitenden Umstände an
dem traurigen Ereignis unschuldig sind, korrigiert zu
werden, die Handlungsweise beherrscht, wenn eine soge-
nannte Gräberpflanze im Garten gemieden wird, oder
was dasselbe ist, wenn einer vor dem Anblick eines Chi-
rurgen die Flucht ergreist. Dann wird die Geschichte ein-
sach dumm. Oder ist es nicht dumni, herzlich dumm,
deshalb aus die schönsten Gartenpslanzen zu verzichten,
weil wir richtiger Weise die schönsten Gartenpslanzen auch
aus die Gräber setzen? Warum setzen wir sie denn auf
die Gräber? Damit die Gräber statt einen trostlosen An-
blick zu gewühren, das Bild blühenden Lebens erhalten.
Und nun sollen die nämlichen Gewächse auf dem Fried-
hos leben, hingegen im Garten tödeln? Und aus Furcht
vor dern Tödeln müssen unsere Gärten einen möglichst
nordischen, srostigen, sauertöpsischen Stil bekommen? Mir
scheint, wenn etwas tödelet, so ist es vielmehr das.

Nichts geeigneter, mich von den Grabesvorurteilen
gegen bestimmte Sträucher gründlich zu heilen, als eine
Reise von Nordeuropa nach Südeuropa. Da lernen wir
erkennen, daß jede Pslanze an der nördlichsten Grenze
ihres sreien Vorkommens zum Kirchhosgewächs einge-
schränkt wird. Mit anderen Worten: jeder Ort hat die
Gartenpslanzen seines südlichen Nachbars als Gräber-
pslanzen; oder, umgekehrt ausgedrückt, was hier sür
Gräberpslanzen gilt, das sehen wir, wenn wir uns um
eine Nummer weiter nach Süden begeben, in den Gärten.
Noch dem Elsüßer tödelt der Buchs, aber nicht mehr dem
Schweizer; die Lebensbaumzypresse tödelt dem Zürcher,
nicht mehr dem Luzerner; dem Luzerner tödelt der Säulen-
taxus, nicht mehr dem Tessiner; dem Tessiner und teil-
weise auch dem Lombarden tödelt die Zppresse, aber nicht
mehr dem Toskaner. Mit mehr Recht und Verstand, als
„es tödelt", sollten wir daher beim Anblicke solcher Dinge
im Gartem rusen: „es wärmelt" oder „es südelt." Hätten
unsere Kirchhofempfindungen, hätten unsere abergläubischen
Vorurteile auch nur den mindesten Grund und Anhalt,
so müßten ja Genua und Florenz längst ausgestorben sein,
so müßten Lugano und Como den Eindruck trauernder
Totenstädte machen. Machen sie einen solchen Eindruck?
Warum nber machen sie ihn nicht? Weil unsere unheim-

lichen Jdeenverbindungen sofort sröhlicheren den Platz
räumen, sobald wir den Anlaß dazu erhalten, das heißt,
sobald wir unsere Kirchhospflanzen überall massenhaft in
den Lustgärten erblicken. Was ist mithin das Mittel,
den anrüchigen Todesgeschmack unserer edlen immergrünen
Büsche und Büume abzustreifen? Sie in unsere Gärten
zu setzen. Dadurch werden ncue Jdeenverbindungen, neue
Vorstellungen, neue Erinnerungsbilder geschafsen, die den
alten die Wage halten, bis sie endlich überwiegen. Warum
tödelt uns der Buchs nicht wie unseren nördlichen Nach-
barn? Weil ivir bei seinem Geruch zunächst an Vauern-
gürtchen und Sommerwirtschaften denken. Warum nicht
die Rose, obschon wir sie auf Kirchhöfe pslanzen? Weil
wir sie im Garten haben, weil wir sogar sie im Ballsaal
antreffen. Warum nicht der Zivilstandsbeamte, obgleich
er doch bei Todesfällen unvermeidlich ist? Weil er eben-
salls Heiraten schließt und Geburten verzeichnet.

Wer also, dem Vorurteil trotzend, eine Kirchhospflanze,
sagen wir z. B. einen Kupressus oder einen Säulentaxus
(Fastigiata), oder, wo es das Klima erlaubt, eine Zypresse
in seinen Garten setzt, thut hiemit ein verdienstliches Werk,
indem er einmal seine Mitmenschen ermutigt und zugleich
eine versehmte schöne Pflanze entsühnt. Es Lraucht nicht
einnral einen sonderlichen Opsermut dazu, sondern bloß
etwas Verstand. Denn so gefährlich, wie man sich das
vorstellt, ist es nicht. Wohl möglich, daß einer vielleicht
das Jahr darauf stirbt. Allein stirbt m an etwa bei Sa-
lat und Schnittlauch nicht? Obschon diese nicht im min-
desten tödeln.

ll. „Trauer".

Während es mit dem „Tödeln" eine zwar unverstün-
dige, doch immerhin rührende, sast ehrwürdig unverstän-
dige Bewandtnis hat, so vermag ich dem sentimentalen
Trauer- und Thränenkatalog unserer Gartenbotanik nichts
als ungemischten Ekel entgegenzubringen. „Trauerweide",
„Trauerzypresse", „Trauerzeder", „Trauerrose", „Thränen-
kiefer" und hundert ähnliche elegische Namen einer mond-
süchtigen Pslnnzenlyrik — das heult nur so in den Re-
gistern. Was da zufällig von der Natur weichen Wuchs
und schwere Äste hat, solglich hängendes Gezweig, wuch-
tige Gruppierung und Schleppe bildet, das muß sich einen
weinerlichen Namen gesallen lassen. Sobald aber einmal
ein Name dazu kommt, dann wird es schon sehr schwierig,
sich die unnützen willkürlichen Nebenvorstellungen vom
Halse zu halten. Es ist daher ebenso verzeihlich, wenn
einer eine „Thrünenkieser" oder „Trauerweide" nicht in
seinem hellen Garten sehen mag, wie es unverzeihlich war,
eine besonders langhaarige Kieser oder eine üppig hangende
Weide durch romanhaste Namen der Backsischsentimenta-
litüt zu denunzieren. Und hiemit zu degradieren. Denn
an sich ist ja schon jede Symbolisierung einer Pslanze
eine Erniedrigung derselben. Die Pflanze hat einen höheren
Zweck in der Natur, als irgendwie gedeutet zu werden,
nümlich Selbstzweck. Jhre wahre Bedeutung ist Leben,
und Leben ist ernst. Eine symbolische Umdeutung durch
den Menschen hat neben dem Lebensernst der Pslanze
nur den Wert einer Tändelei. Und nun gar solch eine
läppische Umdeutung, welche einsach und plump den
Sinn der gebeugten Haltung eines trauernden Menschen
aus die Pflanze überträgt. Das ist nicht mehr bloß
Tändelei, sondern abgeschmackte Tändelei. Nicht auf den
konsusen „Eindruck", sondern auf den Ausdruck einer
Pflanze kommt es an. was sie bedeute. Eine langhaarige
Kiefer bedeutet üppige weiche Krast, keineswegs Trauer.
 
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