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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 11
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0180

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aber jung geblieben ist, den letzten Gruß seiner Mutter.
Er selber aber rvird der Psarrertochter Mann, und nun
gesundet ihm allmählich Leib und Seele. Die Kunst wird
ihm wieder das Heiligtum seiner Kinderzeit, darin er als
andächtiger Priester wirkt. „Die Kunstgeschichte wird sich
dereinst den Kops zerbrechen über die beiden himmelweit
verschiednen Perioden seines Schaffens."

„Kunst und Gunst" zeigt überall die Hand einer Frau,
das aber sage ich ganz und gar, ohne damit tadeln zu
wollen, denn ebensowenig wie der Roman männlich oder
auch männisch wirkt, wirkt er weibisch. Es ist nicht nur das
Recht, sondern die Pflicht einer Schriststellerin, genau aus
ihrer eigenen, also weiblichen Empfindungsweise zu schrei-
ben und wenn sie das, wie Gertrud Franke, s o thut, daß
uns der Mensch in ihr innerlich beteiligt, so erweist sie
damit ihren Beruf. Man möchte hier die Verfasserin auch
mit einer Hausherrin, die in ihrem Werke wie in einem
Haushalte schaltet, vergleichen: da ist alles mit Verstünd-
nis und Liebe an den rechten Platz gestellt, zu guter
Wirkung gebracht und alles sauber gehalten. Die Ereig-
nisse greisen, wohlangeordnet, ineinander, und wö, wie
bei der prächtigen Zeichnung des Doktors Knorr, die Ver-
fasserin zu behaglichem Verweilen lädt, da lauschen wir
besonders gern ihrem sein sraulichen Humor. Aber auch
der Ernst kommt ihr aus dem Herzen; die erste Vorbe-
dingung eines genußreichen Lesens, Vertrauen in die Auf-
richtigkeit des Erzählenden, verläßt uns nie. Jn der That,
das Buch ist eine recht achtungswerte Leiftung. Und
wenn, wie jeder in unsre Künstlerverhältnisse Eingeweihte
aus der Jnhaltsangabe ersieht, das wirkliche Leben eines
berühmten Bildhauers der Verfasserin zum Stoffe gedient
hat, so schadet das nichts, denn ein Klatschinteresse hat
das Buch doch nicht. Freilich, ganz sicher ist Gertrud
Frankes Kunst nur so lange geblieben, wie sie dem Gang
der Wirklichkeit von ferne gesolgt ist: da, wo die erschüt-
ternde Enthüllung sür den Künstler eintritt und dann seine
Läuterung, scheint uns doch etwas wie ein Bruch zu sein.
Vielleicht, weil uns unwillkürlich das andersartige Ver-
halten des Modells zwischen dem Bilde der Schriftstellerin
im Kopfe herumgeht? Oder, in der That, weil ihre Dar-
stellungsgabe nicht stark genug war, uns durch volle An-
schaulichkeit von der Läuterung Peter Castellis zu über-
zeugen? Jch glaube das letztere und daß h i er doch wohl der
Stoff ein zu spezifisch männliches Empsinden voraussetzte
als daß ihn eine Frau ganz glücklich bewältigen konnte.

L.

» Über Pcböngeisteret sprach in München Paul
Schlenther, die Gelegenheit benutzend, um wieder ein-
mal die Ziele der Modernen zu beleuchten. Nach einem
Rückblick aus die Geschichte des Begriffes „Schöngeist"
sagte er (nach den „Münchener Neuesten Nachrichten") vom
Schöngeist von heute sehr richtig: „Vom wahren Kunst-
sreunde unterscheidet er sich wie Talmi von Gold, wie
eine künstliche Blume von der natürlichen. Allerdings ist
das heutzutage sür das Laienauge nicht ganz leicht zu
trennen. Darum kommt es auch im Leben oft genug vor,
üaß der Schöngeist die Ehren des Kunstfreundes einheimst,
und daß der Kunstsreund in den Verdacht der Schön-
geisterei gerät. Eins so beklagenswert wie das Andere."
Jnsbesondere in den Kleinstädten, meint Schlenther, wo
schon die Erwerüung einer Gipsbüste in den Rus eines
„Schöngeistes" bringen kann, verwirrten sich die Begriffs-
typen „Kunstsreund" und „Schöngeist".


„Es ist dem Schöngeist nicht abzusprechen, daß er in
seiner llmgebung das Jnteresse an Kunst und Literatur
steigert, und in manche junge Seele mögen dabei auch
gute Keime fallen. Meist aber werden jene hohen Gegen-
stände zu kleinlichen Besriedigungen der Eitelkeit erniedrigt,
und statt des Verständnisses wächst die Anmaßung. Eine
dilettantische Halbbildung macht sich in üsthetischen Dingen
breit, entsernt sich von der naiven Empsänglichkeit, die das
Schönste des Kunstgenusses ist, und sührt zu schiefem Ur-
teil. Kritische Autoritäten steigen übermäßig im Wert,
weil sich zu ihnen der gläubige Schöngeist üngstlich flüchtet
und ihre Gemeinplätze blind nachspricht. Sein verwor-
renes Gebahren wirkt ansteckend auf die Umgebung; eine
süßliche Sinnlichkeit, ein affektirtes Wesen rechtfertigen
wieder das alte Wort aus der Moliere-Zeit von den x>r6-

Das großthuerische Schlagwort der Schöngeisterei
heißt: Jm Reich des Wahren, Guten, Schönen. Dieser
Phrasendrilling ist wie ein mächtiges dreiflügeliges
Scheunenthor, hinter dem Stroh und Heu nufgeschichtet
liegt.

Unsere Kunst stand lange genug weit ab von den
wissenschastlichen Entdeckungen und gesellschastlichen Be-
wegungen der Gegenwart. Wo man die einen oder die
anderen im Roman oder auf der Bühne zu spiegeln suchte,
da fehlte dem Dichter die künstlerische Krnst oder der
ästhetische Wille, sie wirklichkeitsgetreu darzustellen. Und
so kam ein Zug von Schöngeisterei auch in die dichterische
Produktion. Dieser Zug besteht nicht in der Weltflucht
des Dichters, in seinem Hinausstreben über die Wirklich-
keit, über das Jetzt und Hier. Die Phantasie ist frei, und
so weit sie den Dichter trügt, so weit liegt poetisches Land.
Gerade die großen Dichter haben bewiesen, wie es einem
Genie möglich ist, Unwirklichem den Wirklichkeitsschein zu
geben. Viel sester, viel gefährlicher nistet sich die produk-
tive Schöngeisterei innerhalb der Wirklichkeit, ja innerhalb
der Alltäglichkeit ein, die sie entweder rosiger färbt als
sie ist, oder um sogenannter schöner Wirkungen willen
entstellt. Es wird ein angebliches Element der Poesie in
die realen Dinge hineingetragen, anstatt daß aus den
realen Dingen die Poesie herausgezogen wird, wie der
Wein aus den Trauben, oder wie derHonigseim aus den
Blütenkelchen.

Wie mit dem Wahren, so verhält es sich auch mit jenem
ewig Guten, das in Prologen so oft Schöngeister besingen.
Die Frage sei gestattet, was ist gut, und vor Allem, was
ist das Gute? Hamlet sagt: An sich ist nichts weder gut
noch böse, unser Denken macht es erst dazu, Lear könnte
bei gleicher Selbsterkenntnis hinzusügen: unser Fühlen
macht es erst dazu, und Macbeth könnte hinzufügen: unser
Wollen macht es erst dazu. Gut und böse ist somit Menschen-
werk, und wer sich damit abfinden will, darf nicht die
Menschen sliehen, sondern er muß ihnen hart und scharf
zu Leibe gehen.

Und was ist das Gute? Der Theolog sagt: das
Gute ist Gott; er personifiziert es zu einem menschenbild-
lichen Weltwesen, das irdische Thaten belohnt und straft.
Die Poesie hat sich diesen religiösen Glauben zu Nutze ge-
macht, weil schon er auf künstlerische Weise eine Jdee in
Anschauung umsetzt. Und selbst der große Heide Goethe
gibt im Faust seinem Optimismus die Form himmlischer
Erlösung. Jm Reich des ewig Guten finden sich da die
verirrten armen Seelen wieder. Goethes Phantasie war
stark genug, das jenseitige Reich gleichsam von dieser
 
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