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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 12
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0195

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war eben das große Talent, das zuerst aus Attem und
Neuem, Wahrem und Falschem das pikante Getränk zu-
sammenbraute, das geeignet war, der angeblich neuen
Richtung deir Beisall des großen Publikums zu gewinnen.
Man hat ihm nun seine Kunst abgeguckt, — und wir
stehen wieder da, wo wir z88s standen. Oder doch nicht?
Die Beantwortung dieser Frage dürfte hier nicht erschöpsend
zu geben sein. So viel scheint mir klar, daß das deutsche
Volk als solches nichts gewonnen hat; statt der alten
schönfärberischen haben wir nun schwarzsürberische Werke,
die ebenso unwahr sind. Oder ist die geistreiche Manier
ä 1s. Sudermann, die man auch an vielen Stellen dieses
Romanes findet, etwa k ü n st l e r i s ch e Wahrheit,
ist die Efsektsucht künstlerische Wahrheit, die den Verfasser
dieses Romans verführt, zum Schlusse dem Arbeiterauf-
ruhr mit seinen Folgen ein römisches Bacchanal der
höheren Gesellschaft gegenüberzustellen, an dem sogar an-
stündige Damen teilnehmen, und das durch einen anar-
chistischen Dynamitschlag gestört wird? Höchstens die
meistens sozialistische Tendenz dieser Roinane könnte man
sür einen Fortschritt erklüren. Aber glaubt mnn wirklich,
daß die soziale Gesinnung durch die Literatur dieser Art
in den Kreisen entwickelt wird, sür die sie inBetracht kommt?
Die Autoren selber mögen sie haben, !aber dn sühlt man
sich dann vielsach veranlnßt zu sragen, warum sie sie
nicht lieber im wirklichen Leben bethätigen? Hans von
Kahlenbergs Roman ist einer der besten der neuen Gatt-
ung, die mir bisher in die Hünde gefallen sind, er ist
wirklich interessant, geschickt gearbeitet, vielleicht sognr
wahrhaft empfunden, — aber doch kein künstlerisches
Produkt, sondern nur gute Schablonenarbeit, die so lange
ihren Reiz behalten wird, wie die Schablonen noch neu
sind. A d c> l f B a r t e l 5.

Tdeater.

* Mlcbtigcrc PclAluspielüuttnbrungen.

Berliuer Bericht.

Es ist stille Zeit. Die Theater haben ihre Haupt-
trümpse ausgespielt, so weit sie ihnen gegönnt waren.
Die alte Literntur tritt wieder mehr in den Vordergrund,
und auch da macht man seine Beobachtungen. Die Ueber-
lieserungen der verschiedenen Theater haben gewisse Stile
herausgebildet, welche in ihrer Anwendung aus das Drama
zu vergleichen einen großen Reiz ausübt. Zwei Gegen-
sätze, wie sie selten in einer Stadt sich so schars gegenüber-
stehen mögen, sind das Kgl. S chauspielha us und das
Deutsche Theater.

Das Schauspielhaus, das, wenn Grube nicht inanch-
mal ein Wörtchen aus der Jntendnntur redete, überhaupt
keine Beziehungen mehr zur Literatur hütte, darf es sich
als Verdienst anrechnen, die Jdee des Dramenzyklus östers
sruchtbar verwirklicht zu haben. Man sah dort einen
Hebbel-Nibelungenzyklus, einen Zyklus mit Grillparzers
Goldenem Bließ, und Richnrd il. soll einen neueinstudierten
Königsdramenzyklus beginnen. Es hat alles Große im
Schauspielhaus den Charakter einer wohlüberlegten Unter-
nehmung, auch die Ausführung. Diese arbeitet mit einem
Rüstzeug, das die Augen blendet. Die Dekorationen sind
prüchtig und vielseitig, Pferde werden nicht gescheut und
der Zweikampf zu Beginn von Richard ll. geschieht zu
Rosse, die Gruppierungen sind in dem Aleininger Stil ge-

halten, welcher der Düsseldorfer Malereischule entspricht.
Die Aussührung ist bis auf den letzten Statisten und bis
in jeden Winkel jeder Szene mit einer so sauberen Sorg-
falt einstudiert, wie sie ganz zu dem äußern und inneren
Charakter, zu dem Beamtentum und dem Publikum
des Schauspielhauses paßt, bei dem ich immer in erster
Reihe an die Begriffe Sauberkeit und Nettigkeit denken
muß. Jn dieses Haus, das von der Straßenthür an nur
so strotzt von „AccuratesseZ das von einer Zuschauer-
gattung bevölkert wird, die in streng bürgerlichen Ge-
sinnungen, in dem privilegierten altberliner Freisinn auf-
gewachsen ist, paßt ein Aufführungsstil, welcher die Nackt-
heit vor der Draperie, die natürliche Wirkung vor der
Gruppierung, den Menschen vor dem Schauspieler zurück-
treten läßt. Alles wird ein wenig auf Komödienton ge-
stimmt, das Schnuspiel im Spiel niemals vergessen. Mat-
kowski und die Poppe sind die Führer im Stil, beide
wahrhast begabt, aber beide immer Schauspieler. Alat-
kowski in der Spiegelszene von Richnrd II. ist das Nüanzier-
teste an Komödiantentum, was sich denken läßt, er spielt
sich selbst und deckt sich mit den Worten Shakesperes.
Die Poppe in Hebbels „Juditlst swelches Stück man
neulich wieder ausgrub), umhüllt diese schwierige
Weiberrolle, die sie richtig ersaßt, mit soviel Jnterjektionen
und Auf- und Niederschleisen von Worten, mit soviel
Kontrasten in dynamischer Beziehung und in der Ver-
teilung von Licht und Schatten, daß von dem natürlichen
Worte ost nichts mehr übrig bleibt. Diese Künstler schweben
ununterbrochen zwischen der Angst, rein menschlich zu sein,
und der Manier des Virtuosentums. Das ist der Stil
des ganzen Schauspielhauses, der dort in wunderbarer
Folgerichtigkeit entwickelt ist.

Das Deutsche Theater ist der entgegengesetzte Pol.
Der Fremde, der es besucht, mag zuerst übcr seineUnan-
sehnlichkeit und Altertümlichkeit erstaunt sein. Wie Boheme-
luft mag es ihn umwehn, oder wie der Duft altüber-
nommener Jnventarstücke. Er trifft kein Stammpublikum,
sondern eine sich leicht verschiebende Auswahl von seineren
Literaturkennern oder solchem bürgerlichen Publikum, das
sich von den modernen Zeitströmungen hat stark beein-
slussen lassen: jener Zwittergattung von Berlin Vß die
mit den Händen kapitalistisch, mit den Köpfen antikapita-
listisch gesinnt ist. Auf eingesessenen Fauteuils sim Schnu-
spielhaus sind es Rohrstühle) sieht man alte Vorhänge
aufgehen und alte Kulissen sich aufbauen mit angemalten
Büchern und Trinkgeschirren, und mit Sonnenreflexen am
Fenster, während hinten der Mond scheint. Aber in dieser
ererbten und lüngst einer Ausbesserung benötigenden Um-
gebung entwickelt sich ein Bühnenbild von echtem, ursprüng-
lichem Leben, ohne jedes Komödiantentum, ohne jede
Prinzipienreiterei. Heinrich IV. wird hier in der Förster-
schen Bearbeitung an einem Abend gegeben, welche wie
alle Bearbeitungen ihre Fehler hat. Aber ein systematisch
unternommener Zyklus will in dieses Haus nicht passen,
welches in äußeren Dingen so gar nicht systematisch und
sauber und reglementsmüßig ist, und ganz nur durch
Jnnerlichkeit wirkt. Dem Matkowski und der Poppe stehen
hier der Kainz und die Sorma gegenüber, deren erste
Sorge die Natürlichkeit innerhalb der Kunft ist. Kainz
als Hamlet ist die Entdeckung des modernen Menschen in
dieser problematischesten aller Shakespereschen Gestalten,
Kainz als junger Heinz, als Freund Falstaffs ist der
Ubermut der Jugend selbst. Kein Spielen und Jnszene-
setzen des Ilbermuts, sondern sein Lebendigwerden. Kainz
 
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