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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 13
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0210

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als dafz ich sie als Beispiele hersetzen könnte, dcnn von seiner
Bedeutung als dichtender K ü n st l e r erwecken die
bisher angeführten Beifpiele kaum eine Ahnung. Ilnd Jn-
haltsnngaben der längeren Gedichte fagten da natürlich
auch nichts. Jnsbesondere die höchft eigenartige, oft dä-
monifch fchauerliche, oft merkwürdig humoriftische Spitteler-
sche Phantaftik will in ununterbrochenem langem Zuge
genoffen werden.

Aber einige Anfchauung uon der nach meiner Mein-
ung bedeutendften Schaffensweise des Dichters muß ich
den Lefern doch vermitteln. Es ist eine alte Wahrheit,
die besonders Vischer befprochen hat: daß nichts fo gut
einen Prüfftein für Echtheit poetifchen Goldes bietet, wie
Gedichte, die Trüume behandeln. Wem fein Dichten aus
dem Kopfe kommt, der wird, will er Träume schildern,
nie die eigentümlichen Traum a n f ch a u u n g e n und
deshalb auch nie die eigentümliche Traumes - S t i m m -
ung erzeugen kvnnen. Wir haben allesamt gelegentlich
! einmal „poetische Träumc", aber unsre fo ungeheuerlich
große Literatur weist wohl nicht zwei Dutzend Traum-
fchilderungen auf, die überzeugen. Nun versenke man
sich in die folgenden Spittelers, die den „Träumen Jakobs
des Auswnnderers" entnommen find.

Der V a t e r.

. . . . Nach dem Grab des Vaters

Schlich ich hinüber, und mit banger Haft,

Verhaltnen Atems fing ich an zu fchaufeln.

Jch grub und grub. Jn bodenlose Tiefen
Tauchte der Spaten. Doch vergebens. „Vater",

Rief ich, am Boden hingeftreckt, „ich bin's!

Die Pferde find bereit! Auf, laß uns fliehn!"

Da ftand er plötzlich neben mir; leibhaftig
Und wahr, als wär er niemals tot gewesen,

Nur etwas müde. Mit den Händen faßt'

Er meinen Arm; fein Auge blieb geschloffen,

Und wie im Traume lallte feine Zunge.

Jch hob ihn rafch aufs Pferd. Und während wir
Mit hoffnungsfrohem Atut von dannen fprengten,
Begann ich ihm von Völkerkrieg und Frieden
Und was fich andres feither zugetragen,

Zu melden und zu fchildern. Muntrer murde
Sein Angeficht und öfters nickt' er lächelnd.

Allmählich aber fchlottert' er im Sattel.

Der Körper fank, die Hünde fuchten Stütze.

Unruhig fchüttelt' er den weißen Bart.

Dann flüftert' er mit tonverlasfner Stimme:

„Es wird mir doch zu fchwer. Jch möchte ruhn".

Und während ich ihn aus dem Sattel hob,

Entdeckt ich plötzlich, daß ihm eine Wunde,

Vom Hemd verdeckt, die müchtge Brust zerfraß.

War alles hohl inwendig, gleich als wenn er
Unter der Haut nicht Fleifch und Blut mehr hätte.

Und ich begriff, daß ich ihn nie mehr rette.

Wirkt diefes Gedicht nicht wie eine erschütternde
Offenbarung aus den dunkelften Tiefen? Schließen wir mit
einem kaum minder ernften, desfen wundervolle Jnnigkeit
in Frieden ausklingt:

Das Begräbnis.

Mir war im Traum, sie thäten dich begraben,

An einem Sonntag, draußen unterm Wald,

Mit Singen und mit Beten. Leisen Trittes
Durch eine Seitenpforte naht' ich traurig,

Entblößten Haupts, von hinten der Versammlung.

Da ftockte plötzlich der Gefang. Erftaunt,

Mit fcheuen Blicken starrten fie nach mir.

Die Meßner zischelten. Ein Gärtnerjunge
Schob mir mit dienstbeflissnem Grinsen heimlich
Durch meine Finger einen Kranz von Dornen.

Aber die Menge teilend trat der Pfarrer
Mir feierlich entgegen, fchrieb das Kreuz
Auf meine Stirn, legte die heilige Schrift
Mir auf die Brust und las mit lauter Stimme:
„Vergib, auf daß man dir vergebe", las er.

Da regte sichs im Dornenkranz, und wuchs
llnd guoll wie Bluft im Frühling. Rote, famtne,
Großmächtge Königsrofen fraßen wuchernd
Die lichte Luft, den leiderfüllten Kirchhof.

Blieb nichts mehr übrig, als ein stilles Antlitz,

Von Schmerz verschönt, die Heimataugen
Wehmütgen Blicks mich grüßend durch die Rofcn.

Wer Gedichte nur „lefen" will, wer fich nicht in
stillen Stunden mit ihnen besprechen mag, wie er in ge-
ruhiger Einkehr fich dann und wann mit fich selbst be-
fpricht, für den freilich hat auch Spitteler nicht geschrieben.
Aber die andern, — werden meine Worte genügen, eine
Anzahl dieser „andern" endlich mit ihm zu befreunden?
Würde es so! Nicht um Spittelers willen wünschte ich's,
denn der befindet fich fehr wohl auch ohne „Ruhm",
fondern eben um diefer „andern" willen. A.

Audrer Leute R i u d e r. Zwei Novellen von
E r n st Wichert. fDresden, Carl Reißner).

Die beiden Nwvellen heißen „Die Stieftochter" und
„Der Herr Pathe". Jch habe fie gern gelefen. Ernst
Wichert gehört gewiß nicht zu den fchöpferischen Naturen
unter unsern Dichtern, man merkt allen feinen Produkten
die Verftandesarbeit an, aber weil er eben wirklich an
seinen Stoffen arbeitet, fo bringt er vielfach doch höchft
Anerkennenswertes, zumal auf dem Gebiete der Novelle,
zu ftande. Vor allem find die littauifchen Geschichten
Wicherts fchätzbar, ihnen gegenüber habe ich das Gefühl,
daß fie wirklich „Dokumente" seien, was ich bei den Zola
nachgeahmten Romanen fo vieler Modernen, die Doku-
mente fein wollen, uicht habe. Es ist auch wohl ficher,
daß nur verstandesklare Arbeit ein äocrinwm brnnLin im
Sinne der Zolafchen Theorie fchaffen kann, und daher ist
die Anwendung dieser denn auch auf ein fehr kleines
Gebiet befchränkt. Ernft Wichert hat von den Modernen,
von ihren Kunftmitteln wenig oder nichts ange-
nommen, aber er behandelt oft ihre Stoffe, so auch in der
„Stieftochter", die als die Geschichte eines schon einmal
verbummelten Malers, der, durch eine wackere Frau aus
dem Bürgerftand gerettet, nun zum zweiten Mal in die
Verfuchung kommt und jetzt durch das Ausharren seiner
geliebten Tochter erster Ehe bei der Stiefmutter gerettet
wird, die fchönste Gelegenheit zu naturalistisch-genialifcher
Behandlung geboten hätte, hier aber mit den Mitteln der
alten Kunst völlig überzeugend durchgeführt wird. „Der
Herr Pathe" ist halb humoristifchen Kalibers; ein älterer
Herr, der viel für andere gethan, wird durch die wachsen-
den Ansprüche eines seiner Pathenkinder, mit dem ihn
freilich eigentümliche llmstände verknüpfen, beinahe um
fein eigenes, spät auftauchendes Lebensglück gebracht.
Der naive Egoismus jenes Pathenkindes, einer wohler-
zogenen jungen Dame, hinterläßt doch einen etwas unan-
genehmen Eindruck, über den man auch durch die heitere
Färbung, die Wichert dem Ganzen gegeben, nicht hinweg-
kommt. Adolf Bartels.

wuuderliche L e u t e. Gefchichten und Skizzen
von Ernst L e n b a ch. (Dresden, Carl Reißner.)

Wenn ich das Talent dazu hätte, so würde ich ver-
fuchen, die Humoreske „kunstfähig" zu machen: die Form,
der moderne Ersatz für den altdeutfchen Schwank, verdient
 
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