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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 14
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Dresdner, Albert: Von der Schauspielkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0224

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ischen Gefühle niederlegen, werden von ihren Erfindern
ausgeführt. Die Rhapfoden der Hellenen trugen ur-
fprünglich felbft ihre Gefänge dem verfammelten Volke
vor, ihre großen Dramatiker waren zugleich Schau-
fpieler und Darsteller ihrer eigenen Werke. Die
Passionsfpiele, fowie die Erzeugniffe verwandter Art
wurden von den Bürgern oder Bauern ausgedacht
und von den Schöpfern (oder unter ihrer Leitung und
Mitwirkung) verkörpert. Das volkstümliche Drama
der Jtaliener hatte in der von Komödianten stets
nen gedichteten commeclllr ciellRrte feine Wurzel, das
große populäre Schaufpiel der Franzofen und Eng-
läitder führt auf zwei Schaufpieler, nuf Moliere und
Shakefpere, feinen llrsprung zurück. Vielen, ja viel-
leicht den meiften Werken diefes Schlages ist denn
auch deutlich anzumerken, daß fie oft nur andeutend,
in umrißartigen Formen gearbeitet find, weil fie auf
den Schaufpieler rechnen, weil fie gemiffe Ergänzungen
von feiner Thätigkeit erwarten und ihm überlaffen
lvollen. Auch die Jmprovisation war durchweg na-
türlich und gerechtfertigt, fo lange fich Dichter und
Darsteller in einer Perfon vereinigten.

Dies Verhältnis mußte fich lösen, rvenn das
Künstbedürfnis fich erweiterte und örtlich oerteilte, wenn
Werke, die man als mufterhaft erkanilt hatte, dauernd
festgehalten und dargeftellt werden follten. Dann
konnte der Dichter nur noch vereinzelt der Darsteller
feiner eigenen Schöpfungen fein. Es differenzierten
fich die Geifteseigenschaften, eine Arbeitsteilung trat
ein: eine. Klaffe von Leuten entftand, die nur dichteten,
eine andere von Personen, die nur darftellten. Der
Schauspieler nahm dem Dichter einen großen Teil
feiner Arbeit ab, wie ihm andrerseits von diefem ein er-
hebliches Stück seiner Thätigkeit überkam. Für die
Ausbildung des dichterischen und des darftellerifchen
Schaffens ivurde diefe Arbeitsteilung von der größten
Folgewichtigkeit: der Dramntiker mußte fortab un-
gleich fefter, vollendeter, abgefchlosfener geftalten; die
Schaufpielkunft, deren Aufgabe nunmehr ungemein
erschwert war, ihre Technik außerordentlich bereichern,
vertiefen, verfeinern. Durch die Sonderung beider
Thätigkeiten gewann unftreitig die Organifation und
spezifische Ausbildung ihres Geiftes und Schasfens;
auf der anderen Seite hingegen erwuchs, je beftimmter
und runder fie fich in fich abschloffen, um fo bedenk-
licher die Gefahr, daß fie fich als Teile eines und
desfelben Ganzen zu fühlen verlernten und ihren
Zweck nur in fich felbft zu finden meinten. Denn
waren auch die urfprünglich miteinander verbundenen
Funktionen auf diefe Weife an zwei verfchiedene Per-
fonen verteilt, — die innere Einheit kann und darf
dadurch nicht beeinträchtigt oder in Frage geftellt
werden. Nach wie oor gibt es nur ein Kunstwerk:
das Drama, an desfen Herstellung gleich berechtigt

beide Künste in d er Weife arbeiten, daß die eine den
Faden da aufnimmt, wo ihn die andere liegen läßt.
Nach wie vor gilt es, eine einheitliche künftlerifche
Anschauung fo zu objektivieren, daß fie wieder
in das Leben zurückströmt, dem fie entsprungen
ift, daß fie ihm reicher zurückgibt, was sie von ihm
empfing. Das ift der natürliche Kreislauf der Kunst;
ihn vor dem Ziele zu hemmen, ift Unnatur. Un-
natur ist das „Dramn an fich", das Buchdrama,
weil es feiner notwendigen Beftimmung von vorn-
herein entsagt, fich darzuftellen und fo zu wirkem
Nur die völlige Entfremdung der Kunst vom Leben
konnte uns die Empfindung des Zufammenhanges
der beiden Künste nus dem Bewußtsein reißen, konnte
uns die Schauspielkunst als etwas zur Dichtung zu-
fällig hinzutretendes ansehen laffen und uns das
Gefühl der natürlichen Beftimmung des Dramas
rauben. Die Anfchauung, daß die Schauspiel-
kunst eine Dienerin der Poefie fei, fteht auf der-
selben niedrigen Stufe, wie die Ansicht, daß das
Drama als ein Hilfsmittel für die Kunst des Dar-
ftellers zu betrachten fei.

Die Frage, ob die Schauspielkunst als produktiv
oder reproduktiv zu bezeichnen ist, beantwortet fich
hiernach dahin: fie ist produktiv, infofern sie die Aus-
löfung einer künstlerischen Anschauung durch ihre
eigentümlichen Mittel bewerkftelligen hilft. Diefen
feinen Künftmitteln nach ift der Darsteller ein bilden-
der Künstler, und zwar ift fein Material der menfch-
liche Körper, sein eigener Körper. Von den bildenden
Künsten im engeren Sinne unterscheidet die Schaufpiel-
kunft der Zweck, in deffen Dienst fie ihre Mittel ftellt.
Während der bildende Künstler im engeren Sinne,
der Maler, der Bildhauer, die Festhaltung eines be-
ftimmten Augenblickes oder Zustandes bezweckt, ftrebt
der Schauspieler, obwohl er auch jedes einzelne Mo-
ment und in jedem einzelnen Momente geftalten muß,
doch nach der Darstellung einer Folge von Vorgängen,
einer Entwickelung, einer Handlung; man kann seine
Kunft als eine bildende Kunst anfehen, die der Feffeln
ihrer in die Starrheit des Augenblicks gefchlagenen
Schwefterkünfte fpottet. Von der dramatischen Poesie
wiederum, mit der die Schauspielkunft in Gemein-
fchaft nach demselben Ziele strebt, unterfcheidet fie die
Natur ihrer besonderen Kunst mittel, und die Wirk-
ungen, die fie durch fie zu erreichen vermag. Auch
der Dichter gibt wohl eine Folge von Vorgängen,
aber er vermag von ihnen mit Hilfe feines Werkzeugs,
des Wortes, nur das geiftige Bild, die Vorftellung,
zu vermitteln, während der Schauspieler auf das
finnliche Bild, die Anfchauung, hinausgeht. Nach-
dem fich also die Arbeitsteilung zwifchen Dichter und
Darsteller vollzogen hat, mußte fich auch der Geift
ihrer Thätigkeit entfprechend differenzieren und unter-
 
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