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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 20
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0331

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fürchterlich schönen modernen Riesenfahnen einwickelten
und durchnäßten, auf daß man ihrem Farbengeknall ein-
mal entrückt sei.

Man muß auf dergleichen aufmerkfam machen, damit^
es womöglich entfernt und bei künftigen Gelegenheiten
vermieden werde, aber man kommt ja mit ein wenig
guter Laune leicht darüber hinweg. Geben wir uns dem
Eindruck des Ganzen unbefangen hin, so ift es befonders
ein Gefühl, das uns berührt: wir werden ang eh eim elt.
Und das gibt mehr zu denken, als gewöhnlich dabei ge-
dacht wird, denn wie kommt es, daß uns diefe Um-
gebung, in der wir nie gewssen find, daß uns diese
Bauten, deren Vorbilder um Jahrhunderte von uus fern
liegen, weit mehr anheimeln, als die Prachtftraßen und
Villen von heute(, die nahe diefem Stückchen heraufbe-
schworener Vergangenheit den Ausftellungspark umgeben?
Dort ist die Welt, an die wir gewöhnt find, in der wir
leben, und fie berührt uns kalt und fremd im Vergleich
zu diesem ungewohnten Stadtbild hier — ist das nicht
eigentlich fehr merkwürdig? Wir haben eben zu oft ver-
gefsen, daß unsere Väter und Mütter unfer Empfinden
gebildet haben, wir haben allerlei Fremdem zu lieb unsre
eigne Art verleugnet, nun rächt fich in unferem Jnnersten
die Natur, indem fie diefer Modischkeit, die uns als Mo-
derne erscheint, die Liebe verfagt. Wir werden nicht hoffen
dürfen, unfre Städte zu rechten Heimatsorten zu geftalten,
ehe das anders wird. Wir brauchten keine Errungenschaft
unfres Jahrhunderts aufzugeben und könnten doch bauen,
ohne uns gegen das Erbe unsres Volkes zu empören und
damit gegen uns felber, gegen das, was aufgelöst in
unferm Blute nährkräftig unfre Adern durchströmt. Viel-
leicht tragen die alten Städte in Nachbarfchaft der wider-
lichen Häßlichkeit unsre Protzen- und Schwindelarchitektur
dazu bei, dem Volke die Augen zu öffnen für die Schön-
heit der charakteriftifchen, malerifchen und behaglichen Bau-
weise unsrer Altvordern, vielleicht auch zu einem llm-
fchwung der landläufigen Anschauungen über die Anord-
nung von Straßen und Plätzen. Dann förderten fie, daß
wir wieder als Deutsche bauten. Und ihre luftige Ku-
liffenwirtfchaft wäre beinahe fo etwas wie ein Tempel
geworden.

Vor den Thoren der alten Stadt, die übrigens von
allen Seiten auch malerifche Außenanfichten bietet, liegt
an einem kleinen künstlichen Gewäsfer das „Wendifch e
Dorf", eine Gruppe teils nachgeahmter, teils echter und
hierher überführter Bauernhäufer aus der wendifchen Lau-
fitz. Es ist auch ein „w endis ches Mufeum" darin,
das trefflich das „M useum für fächfifcheVolks-
kunde" dieser felben Ausftellung ergänzt. Männer, die
Verftändnis und Kenntnisse mit herzlicher Liebe zu ihrer
Sache vereinigen, haben hier mit Fleiß, Geschick und Glück
sehr dankenswertes geleistet, und auch auf diesen Gebieten
hat Gefchmack und Kunstsinn felbst das Widerftrebende
freundlich zufammengestimmt. Warb man zur Besiede-
lung der alten Stadt (übrigens mit einem Kennerblick
fürs Charakteriftische) Statisten, die nun in alten Trachten
Typen von dazumal darftellen, fo find hier im Wenden-
dorfe zum mindeften die Mufikanten „echt", die bäuerifche
Weisen auf alten Jnftrumenten fpielen, oft auch dem
mufikalischen Ohr zu einer wirklichen heiteren Labung.
Ein großes Trachtenseft (der Feftzug brauchte dreiviertel
Stunden nur zum Vorbeimarfch) that jüngft ein weiteres,
die Teilnahme am Volkstümlichen zu erfrifchen und aus-
zubreiten.

Die Hoffnungen freilich, die fich aus solchen Bemüh-
ungen auf eine Wiederbelebung der Volkstrachten richten,
kann ich leider nicht teilen. Jch möchte an das erinnern,
was uns vor zwei Jahren (Kw. VII, ^z) „Chth" in einem
vortrefflichen Aufsatze- über „schöne Kleider" gesagt hat.
Aber felbft wenn man die dort erörterten Hemmnifse fo
bald überwinden könnte (es ift ja nicht abzusehen, warum
fie immer bleiben müßten), so geböte die foziale und
wirtfchaftliche Entwicklung für dergleichen Beftrebungen
voraussichtlich bald Stillftand und Ende. Es beftehen
eben die Verhältnisfe nicht mehr, unter denen diefe Trachten
entftanden find, und so find diese nicht mehr im höheren
Sinne wahr. Das Mütterchen, das die Tracht ihrer
Mädchenzeit bewahrt hat, das lebt noch in ihr, ihre
Enkelin, die jene wieder aufnähme, spielte darin Komödie.
Jch glaube nicht, daß die gegenwärtige häßliche Aller-
weltstracht bei den Bauern bleiben wird, weil auch fie
eine charakterlofe Nachahmung ift. Von den Bedingungen,
welche die ausfterbenden Trachten erzeugt haben, wirken
ficherlich diefe und jene fort; fie werden mitwirken, die
Trachten der Zukunft zu schaffen, gemeinfam mit der
veränderten Kultur. Aber erst wenn aus unsern fozialen
Kämpfen ein Sieger hervorgegangen ift, der Stärke, Ruhe
und Stetigkeit um fich breitet, wird das gekräftigte Eigen-
empfinden fich wieder eigene Trachten schaffen, die ihm
natürlich find.

Mit diefen Sätzen gebe ich nur ein persönliches Em-
pfinden oder einen „Privatglauben" oder, wenn man will,
eine Hypothefe: die Menge der mitspielenden Faktoren
legt mirs recht nahe, defsen hübfch eingedenk zu bleiben
und mich nicht gar zu ficher zu fühlen. Gegen den
Einwand jedoch möchte- ich mich verwahren, daß dieses
Glaubensbekenntnis mit meinen Wünschen hiniichtlich der
Wiederbelebung „altdeutscher" Bauweisen inWiderfpruch
ftehe. Jch irre vielleicht, wenn ich die Volkstrachten mit
Spinnrad und Thranlampe vergleiche, die mit gar manchem
andern Gerät der „Kultur" unrettbar verfallen find, wie
„poetifch" fie uns auch anmuten mögen. Aber ich ver-
gleiche die Volkstrachten nicht mit dem, was ich aus der
„altdeutschen" Baukunft gern in die Gegenwart herüber-
retten möchte. Wo die Technik der Gegenwart Zweck-
mäßigeres leiften kann, als die der Alten — keine Frage,
daß fie da volles Recht zum Leben hat, und das ift ja
bei tausend Dingen der Fall. Jch will nicht Verleugnung
des Zweckmäßigen in der Architektur, ich wünsche ihm
vielmehr noch größere Herrfchaft darin. Aber bauen denn
wir Heutigen zweckmäßig, die wir in unsern Durchschnitts-
häusern z. B. der Speifekammer oder dem Baderaum ein
Fenster von genau der nämlichen Größe geben, wie dem
Wohnzimmer und dem „Salon", wir, deren Häuser zu-
meift kahle oder geputzte Käften find ohne jede den Zwecken
entwachfene Gliederung? Die jammervolle Verlogenheit
unferer modifchen Architektur ift ja oft genug besprochen
worden. Wir haben die Sache auf den Kopf gestellt, wir
entwerfen „Faffaden" und kleben dann die Räume dahinter,
unferen Vätern wuchs das Gebäude von innennach
außen. Das vor Allem müssen wir wieder lernen, die
„Gotik" oder „Renaissance" oder das „Barock" dabei ist
Nebensache. Wir werden von Allem, was hier in Frage
kommt, noch mit besonderen Aufsätzen im Kunftwart
sprechen. Auch davon, wie sich die Häuser zu Straßen
und Plätzen, die Straßen und Plätze zu Städten fügen.
Diese erften Bemerkungen gelegentlich der Dresdener Aus-
ftellung aber fchließe ich mit dem Wunsche: möge den
 
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