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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 21
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Avenarius, Ferdinand: Die Furcht vor der Farbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0337

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wie prächtig macht sich da ein tiefes Englischrot. Behüte,
man bemalt sie zwischen dem Grünen grün, d h. man
löscht sie in der Farbe aus. Vor Rot überhaupt, dieser
freudigsten Farbe, die ihrer Lautheit wegen zwar selten
in großen Flächen, sast überall aber bei Betonung
kleinerer Flecken ganz wunderlustig wirkt (wer hat sich
noch nicht an einem roten Sonnenschirm oder Halstuch
in Wald oder Wiese ersreut!), vor Rot hat man die
meiste Angst. Und z. B. Wegweiser und Warnungs-
tafeln ersüllten doch auch ihren Zweck kaum schlechter,
wenn sie, bis auf das weiße Schristseld, rot übers
Geländ leuchteten. — Das Material, auf dem das
denkende Sehen sich am drolligsten selbst ^ck äbsurckum
sührt, das Material, aus dem es richtige Purzelbäume
schlägt, ist das Holz. Holz sieht sehr hübsch aus,
wenn die Maserung herauskommt: lasiere es, und sie
kommt heraus. Freilich, es kann auch hübsch aus-
sehen, wenn man's mit einer deckenden Farbe gesällig
anstreicht. Das aber ist die Wonne der Pinselkunst:
mit einer Decksarbe die Maserung tot zu machen —
und dann die Maserung wieder nachzumalen! Oft, ach
ost kann das dein Auge beglücken. Und warum?
Sicher, weil der denkende Geist sich in sich gesenkt
und gesagt hat: so kannst du aus Kiefern- oder
Fichtenholz Eichenholz imitieren, und Eichenholz ist
doch was „seineres". Daß seiner Hände Werk aller-
dings kein Eichenholz geschasfen hat, und daß es auch
kein Mensch dafür hält, dieses stört ihn mit Nichten.
Weißt du übrigens, daß es verschiedene Sorten von
imitierter Eiche gibt, o Laie? Je nach dem, was du
zahlen magst, zaubert dir der Fachmann „Küchen-
eiche" oder „Saloneiche" auss Brett.

Mitunter könnte ja sreilich beim Anstreichen das
Denken nichts schaden. Es wäre z. B. recht zu em-
pfehlen, daß man mehr die Umgebung berück-
sichtigt, in die der zu bemalende Gegenstand als
fertige Sache kommt: gerade dieser ersten Forderung
jeder Dekoration wird aber hier weniger Rechnung
getragen. Die Wagen, die Schisse, die Laternen, die
Straßenbrunnen, die Brückengeländer, die Garten-
lauben, die Ruhebänke, sie sind meist in einer Weise
gesärbt, die den Verdacht entschuldigt, der betreffende
verantwortliche Herr habe sich die Sache sozusagen
nur aus einem Meter Entfernung überlegt. Wie
aber schon der Staffeleimaler zurücktreten muß, um
die Wirkung seines letzten Pinselstrichs zu prüfen, so
muß man entsprechend weiteren Abstand gewinnen,
um über die Farben zumal im Freien zu urteilen.
Da ist ja das ganze bemalte Ding nur solch ein
neuer Pinselstrich in einem großen Bilde, in das wir
ihn hineinsetzen, in dem Bilde, das mit wirklichen
Häusern und Büumen gemalt ist. Wer einen deko-
rativen Gegenstand als Sache sür sich zurechtpinselt,
ohne auss Ganze zu sehen, gleicht dem Taselbildmaler,

der den einzelnen Farbenklex mit der Lupe malen
und prüfen wollte, ob er auch in sich etwas wohl
abgerundet Schönes sei.

Wo das natürliche Verlangen nach ehrlichen
kräftigen Farben denn doch zu laut ist, als daß man's
ganz überhören könnte, da sucht das bedrängte Gemüt
des Farbenscheuen nach irgend einem Grunde, sein
unbescheidenes Vorgehen zu entschuldigen. Und er
findet ihn z. B. im Patriotismus, dessen Vorteile
aus dem Gebiete des Dekorativen außer den eigent-
lichen Wappengebilden die Stadt- und Landessarben
sind. Gar nichts dagegen zu sagen, wo sie am Platze,
aber sie sind nicht überall am Platze. Draußen vor
meinem Fenster schwimmt alle Viertelstunden ein
stattlicher Dampfer der Sächsisch-Böhmischen Damps-
schiffgesellschast die Elbe entlang: sein Schornstein ist bei
den neuesten Exemplaren „lehmfarben", sonst schwarz,
sein Zeltdach fast immer nichtssagend grau, sein Leib
aber ist zu einem patriotischen Zebra, nur der Länge, der
ganzen Länge nach grün-weiß gestreist. Jch weiß nicht,
ob es nötig ist, daß ein Dampfer mit seines ganzen
Wesens sarbiger Erscheinung nichts weiter thut, als
wie ein Reklame-Sandwichman eine einzige Thatsache
auszurufen, in diesem Falle: hören Sie, ich bin aus
Sachsen! Nicht einmal die Mannen der bewaffneten
Macht sind von oben bis unten in die Nationalsarben
gesteckt, noch sind es die Schiffe der Kriegs-oderHandels-
marine. „Aber das Grün-Weiß sieht doch so sreundlich
aus." Es ist auch noch nicht die schlimmste Färbung.
Aber wie stattlich, lustig und wirklich schön zöge der
Dampser daher, dessen Farben zu Wasser, Wiese,
Feld, Wald und Bergland wirklich „ständen". Man
sehe eine Staude tiefrot blühenden Mohnes an, da
hätte man vielleicht eine der brauchbaren Harmo-
nien: Blaugrün, gehoben mit dunkelm Rot. Es gäbe
natürlich auch andere. Mag dann am Steuer die
Fahne frisch die Landessarben ehren!'

Wir haben heut von der Farbe im allerstofslich-
sten Sinne gesprochen, von der Farbe des Anstreichers.
Deshalb reden wir jetzt nicht mehr von der Angst
vor der Farbe in der Kleidung, noch von der Farben-
angst z. B. im Gebiet der gesamten Töpserei. Wir
wollten die Blicke wieder einmal auf etwas richten,
was den Männern der Feder, scheint es, nicht nobel
genug zur Besprechung, was aber trotzdem sür die
Bildung des allgemeinen Kunstgefühls im Volke gar
nicht so gleichgiltig ist. Mögen unsere Leser den Auf-
tragenden oder Aussührenden bei guter Gelegenheit
auch ihrerseits zurusen: Fürchtet euch nicht so vor
der Farbe! Zumal unter sreiem Himmel, wo das
Gotteslicht unbehindert waltet, und Regen und Frost,
diese drei Tausendkünstler im Zusammenstimmen, die
sich wie kein Mensch daraus verstehen, auch das Wider-
strebende zu harmonisieren — zumal hier also ist


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