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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 22
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Batka, Richard: Nachklänge aus Bayreuth
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0352

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keit besteht, sich von Kleinigkeiten nicht mehr als nötig
stören zu lassen und sich dem Eindrucke des gebo-
tenen großen Ganzen willig hinzugeben.

Allein was hülse es, nach sesten Gesichtspunkten
einer in Lob und Tadel gerechten Kritik inmitten
des willkürlichen, subjektiven, wenn nicht gar par-
teiischen Meinens zu suchen? Der Mann, dem beim
Anblick des grünen Froh-Kostümes sogleich die Aehn-
lichkeit mit einem Lnubfrosch einstel, kommt aus dieser
Vorstellung doch niemals heraus, und den in dieser
Farbe eine sinnige Hindeutung auf das frische Grün
der Frühlingswiesen entzückte wird man kaum um
seine naive Freude bringen, wenn man ihm mit un-
erbittlicher Wissenschaftlichkeit nachweist, daß Froh
nach der nordischen Mpthologie gar keinen Lenzgott,
sondern einen sonnengelben, ährentragenden Ernte-
gott darstellen müßte. Da vorurteilslos unterscheiden,
aufklären, überzeugen zu wollen wäre eine wahre
Sisyphusarbeit, Müh ohne Zweck, bei der man schließ-
lich doch weder Lohn noch Dank davontrüge, vielleicht
nur erreichte, daß alle Andern — plötzlich vereint —
über einen hersallen. Wozu neuer Hader?! Klüger
ist drum, bei der Betrachtung dessen, was uns die
Festspiele brachten und lehrten, jenen zerwühlten Ge-
bieten aus dem Wege zu gehen, die heuer den Kamps-
platz der kritischen Geister abgegeben haben und sich
auf die zu beschränken, die vom Schlachtgetümmel
oerschont oder doch nur leicht, im Vorübergehen, ge-
streift wurden.

Sehr auffällig war es, daß sich die gesamte
Kritik öiesmal ausschließlich mit der Aufführung allein
beschäftigte, daß sie das dargestellte Kunstwerk an sich
ganz außer Acht ließ. Mit Ausnahme eines rheini-
schen Hans Wunderlich, der eine recht altfränkische
Ansicht über dramatische Musik zum Besten gab,
stimmten Alle stillschweigend darin überein, daß
Wagners Tetralogie ein unantastbares Wunder sei,
das eben als solches hingenommen werden muß,
worüber gar nicht weiter diskutiert wird. Die Frage,
inwiesern das gigantische Werk die Spnren einer oft
unterbrochenen, durch einen langen Zeitraum hinaus-
gezogenen Arbeit trägt, haben sich selbst die subtilsten
Splitterrichter nicht vorlegen wollen und ebensowenig
erwogen, inwiesern etwa die Ausdehnung eines ur-
sprünglich sür einen Abend geplanten und zu-
rechtgeschnittenen Dramas auf vier die künstlerische
Oekonomie des Ganzen günstig oder zum Nachteil
beeinslußt hat. Der Vergleich mit dem in sich ge-
schlossenen, in einem Zuge und wie aus einem Guß
geschaffenen „Tristan" und mit den „Meistersingern"
lag nahe: die Kritik vermied ihn beinahe mit ängst-
licher Scheu. Nicht minder natürlich war es, Wagners
großgedachtes Prinzip, die Verbindung der drei
Schwesterkünste zu einer neuen Einheit nun auf Grund


einer möglichst vollendeten Aufführung seines Haupt-
und Lebenswerkes in der Praxis zu versolgen: indessen
die Art, wie man heuer von der „Gesamtwirkung"
sprach, ließ nur zu deutlich erkennen, daß man es
nicht mit einem lebendig Empfundenen, sondern mit
einer herkömmlichen Redensart aus dem Phrasenschatze
der Kunstreporter zu thun habe.

Darum lob ich mir den braven Mann und
guten Musikanten, der plötzlich in unsere konventionelle
Wagnerei mit dem ehrlichen Worte dreinfiel: „Diese
Gesamtwirkung bildet man sich im Grunde doch nur
ein. Musik, Dichtung, Szenerie zu gleicher Zeit ge-
nießen — das kann man nicht." Mit diesem Manne
möcht ich mich auseinandersetzen und verständigen.

Zunächst sei im allgemeinen bedacht, daß wer
einen Eindruck leugnet, öenüBehauptenden gegenüber
stets den minder sicheren Standpunkt hat. Viel liegt
bekanntlich an der individuellen Empsänglichkeit. Die
Gesamtwirkung könnte ja existieren ähnlich wie die
Farbe, von der ein Blindgeborener nichts zu wissen
vermag. Wenn mir eine ganze Reihe ernstgesinnter
Männer ausrichtig versichert, sie während der Bay-
reuther Festspiele wirklich verspürt zu haben, dann
genügt die Berusung aus meine und Anderer negative
Erfahrung nicht mehr, dann muß ich, um jene posi-
tive als Einbildung zu kennzeichnen, ihre physische
Unmöglichkeit überzeugend nachweisen. Dieser Nach-
weis ist nie erbracht und, so viel ich sehe, auch
nirgends ernstlich versucht worden. Dagegen läßt sich
eine Anzahl von schwerwiegenden Thatsachen ansühren,
welche die Möglichkeit gleichzeitiger verschiedener Kunst-
eindrücke wenn nicht unzweiselhast darthun, so doch
äußerst wahrscheinlich machen.

Jedermann weiß, daß der Laie gleichwie der
Ansänger in der Musik blos eine Melodie, gewöhnlich
nur die in der Oberstimme liegende eines Tonstückes
mit dem Ohre zu ersassen oermag. Er begreift die
Musik blos homophonisch, als Monodie, von stützen-
den Äkkorden begleitet, und zieht darum den Tanz
und das schtichte Lied allen polyphon gearbeiteten
Schöpfungen vor. Erst nach und nach, durch Unter-
weisung und Ausmerksamkeit, gelangt der Musikbe-
slissene dahin, zwei Stimmen zugleich in ihrem Ver-
lause versolgen zu können. Und diese Fähigkeit lüßt
sich durch Uebung so weit steigern, daß auch drei und
mehrere Stimmen recht gut unterschieden werden.
Ansangs scheint das dem Laien ganz unmöglich zu
sein, ihn verwirrt das Miteinander selbständiger Me-
lodien, während es dem Musiker gerade einen ganz
besonderen Genuß gewührt, indem er nicht nur an
der Führung der einzelnen Stimmen sich ersreut,
sondern obendrein noch den eigentümlichen Reiz ihrer
Verbindung auskostet.

Dieses für die Musik hochwichtige Prinzip der


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