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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 22
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0363

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vermiscbtes.

» Ueber das Verhältnis von Ikunst und Ikritik ist
in letzter Zeit, nnd nicht nur im Kunstwart, recht viel ge-
schrieben worden. So wichtig aber ist angesichts unsrer
kläglichen Tageskritik diese Frage, daß wir das Thema
trotzdem noch lange nicht für „verbraucht" halten. Neue
Seiten gewinnt ihm eine Arbeit ab, die F r i tz Bley
kürzlich in üer „Sozialreform" veröfsentlicht hat, also an
einer für die weitaus meisten Leser auch des Kunstwarts
so abgelegenen Stelle, daß eine Heranziehung an unser
Blatt doppelt gerechtfertigt scheint. Freilich, der Aussatz
ist lang, wir können auf die theoretische Einleitung nur
verweisen. Aber die zweite Hälfte legen wir dem kritischen
Nachdenken unsrer Freunde mit dem Folgenden so ziem-
lich unverkürzt vor:

„Es ist eine Thorheit, wenn Künstler den Nutzen einer
verständigen Kritik leugnen; denn dem beirrten und ver-
bildeten Publikum, dem ein künstlerisches Gewissen und
ein sicherer Halt aus dem schlüpfrigen Boden der Mode-
einslüsse sehlt, ist es dienlich und erwünscht, durch be-
lehrende Kritik in Fühlung mit den ernsthasten Richtungen
des Kunstlebens seiner Zeit zu bleiben. Diese erziehende
Belehrung kann selbst der normale Laie nicht üben, denn
zur Klarlegung der Vorzüge oder Fehler eines Werkes ge-
nügt es keineswegs, wie selbst C. F. von Rumohr irr-
tümlich meint, daß der Urteilende der „unbesangenste,
reinste, besonnenste Mensch sei, möge er Künstler, möge er
dem äußeren Berufe nach sein, was er will." Der reinste
unbesangenste und besonnenste Mensch gerät, wenn er nicht
eine starke Begabung für Kritik besitzt, vor einem neuen
Kunstwerke in die tödlichfte Verlegenheit, wenn er in
knappen Worten dessen Vorzüge und Fehler begründen
soll. Ia in den meisten Fällen reicht seine Unbefangen-
heit nicht einmal so weit, daß er den eigentlichen Kunst-
gedanken des Werkes sosort klar und voll erkennt; er
braucht vielmehr meistens lange Zeit, bis er sich in das
Werk „hineingelebt", d. h. bis er dem rohen, unverarbeite-
ten Stoffe die künstlerische Seite abgewonnen hat. Es ist
überhaupt mit der Reinheit und Unbefangenheit, die
Ruinohr als etwas selbstverstündliches voraussetzt, ein
eigen Ding, ähnlich wie mit dem Naturrecht. Wo nicht
ein sicherer Blick sür das Künstlerische, ein starkes Form-
gefühl, ein sreudiges Farbenempsinden, ein feines Gehör
sür Harmonie als Schutz gegen die Dissonanzen des
Tagesgewühles dient, da ist es auch mit der Reinheit,
Besonnenheit und Unbesangenheit ein sür alle Male nicht
weit her! Dem Wesen des Kunstwerkes kommt der Laie
auch nicht durch die Eselsbrücke des Vergleiches mit
anderen Kunstwerken näher. Aus sich selbst heraus soll
das Werk des Meisters beurteilt werden ohne Rücksicht
darauf, wie der oder jener Andere eine ähnliche Ausgabe
gelöst hat. Dem Künstler kann oft kein bittereres Unrecht
zugesügt werden, als wenn Publikum und Kritik ihn mit
anderen seines Faches vergleichen. Mindestens ist stets
zuvor aus der Absicht des Urhebers heraus das Werk zu
beurteilen, ehe solcher Vergleich statthast erscheint. Die
vielverbreitete Meinung, als ob die Kunstkritik durch Ver-
gleichung des Kunstwerkes mit anderen ihre Aufgabe
lösen könne, ist ein Jrrtum, der offenbar auf Verwechs-

-

lung der Methode der Kritik mit sener der Kunstgeschichte
beruht. Diese freilich Handelt durchaus richtig, wenn sie
zur Bestimmung der Zeitsignatur eines Werkes dessen
Urheber mit seinen Vorläufern, Zeitgenossen und Nach-
folgern vergleicht; aber die Kritik, die den inneren Kunst-
wert eines Werkes ermitteln soll, wird durch solchen Ver-
gleich nur von ihrer Aufgabe abgelenkt. Für sie gibt es
überhaupt keinen äußeren Maßstab. Freilich, vergleichen
soll der Kritiker das Kunstwerk, aber nicht mit einem
anderen Werke, sondern mit sich selbst, mit seinem ides
Werkes) Urbilde und eigenem Ideale! Hierzu bedarf es
der starken Kraft nachschaffender Phantasie, die eben den
Kritiker wie den Künstler vom Laien unterscheidet. Gemitz:
eine Kunst nur sür Künstler wäre ein Unding; das echte
Kunstwerk wird auch auf die breiten Massen wirken; aber
ganz verstanden, in seinem Jnnersten beurteilt kann das
Genie nur vom Kongenialen werden.

Welcher Art ist nun das hiezu ersorderliche besondere
Talent?

Bei der Musik bedarf der Urteilende zunächst musi-
kalischen Gehöres. Jnsosern es sich um die Gelüufigkeit
des Urteils handelt, nützt ihm auch die Kenntnis der
Harmonielehre und der Musikgeschichte. Mit all dem
aber wird man wohl ein Routinier, man schreibt oder
versteht wohl eine brave Kapellmeistermusik, aber keine
Neunte, kein Freischützgebet, keinen Charfreitagszauber.
Denn die dämonische Macht des Genies in der Musik führt
weit durch die bloße Technik hindurch auf den allen
Künsten gemeinsamen mpstischen Urgrund, insbesondere
aus das der Musik mit der Poesie gemeinsam.e Gebiet.
Aehnlich steht es mit dem Urteile über Werke der bilden-
den Kunst. Auch da bedarf es zunüchst scharfen Sinnes
sür Farbe und Form; doch auch da genügt zur Ermittel-
ung des inneren Kunstwerkes die blotze technische Begab-
ung und Erfahrung nicht. Denn die Technik, d. h. die
Handhabung des Werkzeuges und Beherrschung des toten
Materiales, ist nur Vorstuse, nicht Wesen der Kunst; mit
dem geistigen Gehalte, dem Kunstwerke, hat sie nichts zu
thun. Diesen geistigen Gehalt hat, wie gesagt, die Musik
ebenso wie die bildende Kunst mit der Poesie gemein.
Zwar sucht jede von ihnen dem gemeinsamen Kunstproblem
eine andere Seite abzugewinnen, da einer jeden andere
Grenzen gezogen sind. So wohl man aber auch thun
mag, diese Grenzen ins Auge zu fassen, so soll man
darüber nicht das freudige Bewußtsein von der Gemein-
samkeit aller Kunst verlieren. Seltsam, daß gerade Künst-
ler so ost diesem Fehler versallen! Sie, denen ein unbe-
zwinglicher Schaffensdrang den Busen süllt, sollten doch
sühlen, daß es Gottes lebendiger Odem, oder — da man
vom lieben Gott vor ihnen nicht sprechen darf — die
Panpsyche ist, die^ sortwährend in ihnen schafft an der
Kultur des Menschengeschlechtes. Die Wehen und Schmerzen
dieses Schaffens, die unabläßlichen Mahnungen des künst-
lerischen Gewissens, dem „mas in tiefster Brust ihm da
entsprungen, was sich die, Lippe schüchtern vorgelallt, mitz-
raten jetzt und jetzt vielleicht gelungen" erscheint, der
drangvolle Kampf um die Wahrheit, Schönheit und
plastische Lebendigkeit ihrer Bilder, sie sind nur ein Be-
weis für den überwältigenden Einfluß jener den Künst-
lern unbewutzten Macht. (Schlutz folgt.)

InAlt:


Oücbkläiige aus Wüvrculb. — MtNtdscvuu. — Dichtung. Schöne Literatur. (Oberlehrer Gesenius,
Roman von Osterloh. DoraPeters, Roman von Annie Bock. Vom Weibe, von Maria Janitschek. Sibilla
Dalmar, von Hedwig Dohm. Die Magyarin, von A. Müller-Guttenbrunn. Reinheit, von Wilh. von Polenz). Schristen
über Lirerarur. (GrundzügederdeutschenLiteraturgeschichte sürhöhereSchulen u. zumSelbstunterrichte. VonPros.vr.Klee.
Literarische Begegnungen. Von AlfredBeetschen. — Bildend e Künste: Berichte überbildende Kunst. Münchener Bericht.
Darmstädter Bericht. Von Bilderbüchern u. illustr. Jugendschristen. Vermischtes: Über das Verhältnis vonKunst u. Kritik.

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