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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 24
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Avenarius, Ferdinand: Ambrosianische Lehren
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0384

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Für die dichterischen Leistungen der Frau Am-
brosius hat unser Kritiker das Wort „eine Art von
kleinbürgerlicher Kunstpoesie" gebraucht, und das trifft
wohl zu. Es ist, wie unser Mitarbeiter serner mit
anderen Worten ausführte, Poesie, die im Schatten
der Gartenlaube am Feierabend geschrieben ist aus
einem Tischchen, von dem man die Welt nur zwischen
den Blättern hindurch sehen kann, den Blüttern, die
in diesem Falle Namen wie Rittershaus und Träger
tragen, für jeden Freund echter Lyrik alfo gefürchtete
Namen. Frau Ambrosius war ein wenig begabter
als jene Nichtbegabten, gewiß; hätte sie eine reichere
Bildung genosfen, fo hätte fie fich vielleicht fogar von
ihrem Einflusfe befreit,— aber ein ftarkes Talent
hätte das wohl jedenfalls gethan. Sie war begabter,
und das Leben griff fie härter an, deshalb ist zwischen
den Ritterhaus-Trägerschen Posen doch öfters ein
Stück Wahrheit zu fehen, das den Lefer gewinnt und
erfreut; sie hatte wirklich gelitten, und das ver-
schaffte ihr Teilnahme. Aber diese gilt der armen
Frau, deren Seele fich aus dem Dunkel zum Licht
fehnt, — rührend, wie fie fich jedem Streifen Helle
zuwendet, der irgendwo aus der Welt da draußen zu
ihr hereindringt! Wäre sie nun eine wirkliche Dich-
terin, sie spiegelte nicht nur dieses Licht, fie hätte
selbst eine ausftrahlende Seele. Aber alles persönlich
Eigene fehlt ihr eben. Eine Volksdichterin ist fie
nun ganz und gar nicht, ist fie auch nicht mit einem
einzigen Gedichte. Wo wäre eine Strophe bei ihr,
die dem urfprünglichen Ringen nach Ausdruck noch
so unbehilfliche aber felbstgefchaffene und darum über-
zeugende Worte gäbe, wo fähen wir bei ihr den
kleinften Quell unmittelbar aus dem Boden, nicht
fchon durch eine Leitung kommen?

Sagen wir das jetzt, fo gehört kein Mut mehr
dazu, es hat nichts Verblüffendes mehr — andere
Leute haben's auch fchon gesagt, z. B. Goerth in
feiner bei Lützenkirchen in Wiesbaden erschienenen
Schrift über die Ambrosius, ferner Buffe in der
„Gegenwart" und kürzlich Telmann, deffen Aufsatze
„über die Ambrofiasis" (im „Dichterheim") wir uns
überhaupt nur anfchließen können. Man darf getroft
behaupten: unter vier Augen gefragt, werden von
hundert ernften Kritikern neunzig, von hundert ernften
Dichtungsfreunden im Publikum neunzig bekennen,
daß fie die Ambrosius für eine Reimerin halten, wie
deren ebenso begabte alljahrlich zu Dutzenden auf-
tauchen und wieder vergeffen werden. Unter den
zahlreichen „Volksdichtern", die jetzt „entdeckt" worden
find, ift fie vielleicht das k l e i n ft e der wirklichen
Talente. Sie die deutfche Ada Negri zu nennen, ist
beinahe lächerlich. Und sie hat den größten äußeren
Erfolg gehabt, der jemals einem deutschen Lyriker
geworden ift, einen viel größeren nicht nur, als die

hervorragenden Talente unter den Lebenden, nein,
auch als Lenau, Heine, Mörike, Uhland errungen
haben, ja, als mit ihren Gedichtbänden die beiden
großen Sonnen unsrer Poesie Schiller und Goethe!

Wie ist dieser Wahnfinn zu erklären?

Darüber find wir ja alle klar, daß unser Volk
seine Kränze auch den Dichtern nicht nach ihrer
k ü n st l e r i f ch e n Bedeutung austeilt. Wir haben
uns auch darüber fchon früher besprochen, daß ein
großer Künftler so fchne l l e Erfolge gar nicht
erzielen könnte, weil er der Allgemeinheit ftets
ein Stück voraus sein muß. War es alfo der menschlich
anfprechende Gehalt, der Frau Ambrofius ihren Erfolg
verschaffte? Nach allen Richtungen des Seelenlebens
hin haben sich andere fchöner, reicher, wohlthuender
entfaltet. War es das Mitleid mit dem leidenden
Menschen in ihr, der ihr Scherflein auf Scherflein
zuwenden wollte? Das war es wohl, und aus dem
Absatz ihrer Verse wurde dann trüglich zurückgeschlossen,
fie müßten wohl auch vortrefflich fein.

Aber es war nicht das allein. Es ist eine Mode
im Spiel, und die Moden werden nicht nur vom
Publikum gemacht, sondern auch von den Schneidern.
Es wird lehrreich fein, dem Entstehen diefer Mode
nachzugehen und ein paar Schlüsfe daraus zu folgern.

Die Gedichte der Ambrostus wurden heraus-
gegeben nicht von ihr felbft, fondern von Karl Schrat-
tenthal mit einer Einleitung von diefem, und nicht
unter dem Titel „Gedichte von Johanna Ambrosius",
fondern unter dem: „Johanna Ambrosius, eine
deutfche Volksdichterin". Man muß das beachten;
von ihrem ersten erfolgreichen Auftreten an wirkte
Frau Ambrosius nicht durch fich felbft, sondern wie
ein Senfationsbild, neben dem Schrattenthal, der
langjährige Jmprefario für Damenliteratur, mit dem
Erklärerstocke ftand. Nun würde dieser Literat zum
wenigften bei der Kritik jetzt so wenig wie in früheren
Füllen mit feinem Star Glück gemacht haben, hätte
er nicht im Begleitwort vielerlei mitgeteilt, was die
Herzen ja wohl ergreifen m u ß t e. Heute ift dieses
Vielerlei mannigfach angefochten, damals mußte mans
bar in Zahlung nehmen. Und es regte besonders
einen warmherzigen Berliner Kritiker an, zumal die
„Volks-Dichterin" gut feinen fonftigen Tendenzen ent-
fprach, einen Kritiker, den feine allzu schnellen Begeister-
ungen fchon mehrmals recht in die Jrre geführt haben,
der aber als einer der wenigen Rezensenten soroohl
von reichem Wisfen wie von guter Ehrenhaftigkeit
gerade unter feinen Berufsgenoffen mit Recht geschützt
wird. Nun rauschte der ambrosianische Lobgesang
auf, und bald rauschte er durch alle deutfchen Blätter.
Laßt uns an unsre Brust greifen, ihr Herren von
der Feder: ohne die Dithyramben der Preffe hätte
fich diefe Mode denn doch nicht Halb fo weit und

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