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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 24
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0396

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Wie sollte er auch, er kann ja nicht einmal die Gräber
seiner Großen in Ordnung halten, wie alle Monate eine
neue Nachricht über das Verkommen solcher andern Völkern
heiligen Stätten beweist. Wir sind eben zu arm dazu.
llnd so dürfte ein Vorschlag der Erwägung würdig sein,
den wir hiemit der Nation unterbreiten — löste doch
seine Verwirklichung zwei Probleme mit einem Schlage.
Wenn ein berühmter deutscher Dichter gestorben ist, so
versteigere man, nach genügender Reklame, seine Leiche
s e l b st in England oder Amerika, den Erlös aber weise
man der Schillerstiftung zu. Man ist dann der Sorge und
der Kosten sür ihre weitere würdige Aufbewahrung über-
hoben und liefert zugleich einen unumstötzlichen Beweis
sür das uns Deutschen eingeborene Gefühl der Verpflicht-
ung gegen unsere Geisteshelden.

Gotteslästcrung hat ein Halberstüdter Staatsanwalt
darin gesehen, däß ein dortiges Blatt ein Gedicht des wei-
land wirklichen kgl. preußischen Staatsrates Professor vn.
H. von Mädler wiedergegeben hat, ein „Glaubensbekennt-
nis" , das zuerst unter vormärzlicher Zensur erschienen
war und das mit einem ties religiösen Bekenntnis zum
„ewigen Vater" schließt. Eine Anklage ist noch keine Ver-
urteilung, und über diese Anklage schon hat ein Lachen so
iveit gehallt, daß es sie wohl zu Grabe geläutet haben
wird. Unsere kleine Vierteljahrschronik von Sonderbar-
keiten darf jedoch auch diese verzeichnen als ein ganz be-
sonders artiges Zeitfrätzlein.

Das An- und Nuskleldcu auk der Wiwue kommt
in mehr und mehr Stücken in Gebrauch, in einigen ist es
schon bis zur Schamlosigkeit sans pbi-Lse entwickelt, in
andern ists eine Schamlosigkeit a.vec pbi-Lse, bei der die
Herren Macher mit lüchelndem Auge und ernstem Munde
auf Notwendigkeit des Motivicrens oder sonstige gute
ästhetische Erfordernisse verweisen. Die hohe Obrigkeit
duldet das alles, sie begnügt sich, ernste Stücke gelegentlich
zu verbieten. Wir reden strenger Maßregelung bei keiner
Gruppe von Erscheinungen das Wort, aber wir möchten
uns die Bitte an die hohen Obrigkeiten erlauben, die „An-
stößigkeit", das „Verletzen sittlicher Gefühle" usw. bei ihren
Zensurstücken nach Möglichkeit beiseite zu lassen, so lange
sie die gegenwürtige Praxis üben. Glaubt ihr, Hochmögende,
aus irgend welchem Jnteresse des modernen Staats etwas
verbieten zu müssen, so wird nmn das verstehen, aber —
„laßt unsern Herrgott aus dem Spiel"!

Gegeu das 'Ginveseu im /lldedailleuverteileu, das

wir in unserem Bericht über die heurige Dresdener Garten-
bauausstellung schars angegriffen haben, will die süchsische
Regierung vorgehen, soweit das in ihrem Machtbereiche
liegt. Sie veranstaltet nunmehr unter Zuziehung von
Fachleuten Beratungen darüber, „wie Preisgerichte sür
Jndustrie- und Gewerbeausstellungen zu bilden seien, nach
welchen Grundsätzen sie zu verfahren haben, und welche
Uebelstünde hierbei besonders zu vermeiden sind". Jn einer
Preisrichtersitzung der gegenwärtigen Dresdener Gewerbe-
ausstellung wies auch ihr Vertreter, der Geh.-Reg.-Rat
Roscher, „auf die Nachteile hin, welche aus einer zu frei-
gebigen Verteilung der Medaillen entsprängen", und er
besürwortete, die Zahl der Preismünzen möglichstniedrig an-
zusetzen. Viele der Jndustriellen sreilich sagen sich: „wirken"
auch die Medaillen daheim nicht mehr viel, im Ausland
thun sie's noch, also brauchen wir möglichst viele Medaillen
„zur Hebung des Exports". Unsere Leser werden solcherlei

Erwägungen nicht abhalten, der sächsischen Regierung für
ihre Jnitiative im Stillen zu danken und ihr kräftige
Unterstützung bei ihren Verbündeten vom Reiche zu
wünschen.

Ikunstgewerblicber 'Ansiuu feiert jetzt einen beson-
ders schönen Triumph in einer bLMe nonvemNe des Ber-
liner Goldschmiedegewerbes. Da praugen in den Schau-
fenstern Thee- und Eierlöffel, bei denen die Schale innen
mit fein in Gold gebildeten figürlichen oder architekton-
ischen Darstellungen geschmückt ist. Wer die National-
galerie nicht leiden mag, kann sie nunmehr nlso gleichsam
etü§ie verspeisen. Käme ein antimonarchischer Kannibale
zu uns, so böte sich seinem Haß zu solchem Zwecke sogar
ein Kaiserbildnis. Und die Verfertiger glauben, dem Kniser
oder den berühmten Gebüuden Berlins mit solchem Zeuge
zu huldigen! Der Araber, der seinem Gastfreunde Schuhe
schenkt, auf Leren Sohle sein Namenszug eingestickt ist,
um ihn damit seine Demut nnszudrücken — empfindet
er nicht feiner und richtiger als die betreffenden hoch an-
gesehenen Herren vom deutschen Kunstgewerbe?

NlS Iwspecteur äu blanctislnents ckes rnaisons

haben sie in Saint-Denis einen Poeten angestellt, ihm eine
Sinekure zu verschaffen. Er hat nun alljährlich ein paar
Berichte abzufassen über das, was ihm beim Betrachten
der Hänser aufgefallen ist. Solch ein Aemtchen scheint
uns sür einen Poeten drollig, und auch wir besürworten
seine Einführung in Deutschland natürlich nicht. Nur in-
sofern kann uns der kleine Vorfall vielleicht zu denken
geben, als er die Frage näher legt: wäre es nicht gut,
wenn ein regelmüßig wiederkehrendes Berichten über all
das eingeführt würde, was zur Entwicklung der Schön-
heit einer Stadt Leiträgt? Keine amtliche Person brauchte
da über Städte und Häuser zu sprechen; es könnte das
zunächst einsach eine wiederkehrende Aufgabe der Kunst-
kritiker der betreffenden Städte sein. Etwa alljährlich mit
einem Artikel: „Wie verändert sich unser Stadtbild?" Das
Für und Wider offener Debatte hätte um Klärung der
Meinungen zu sorgen. Und brächte der große Verein von
Philosophen und Philistern, aus dem die kleinen Welten
nun einmal bestehen, auch schließlich mnncherlei Buntes
zu Weg, Bunteres als jetzt zu Stande kommt, würde es
ja wohl kaum sein. Und gewonnen würe ja schon damit
viel, daß eine sreundliche gemeinschastliche Angelegenheit,
das Verschönern der Heimat, immer wieder klar als solche
hingestellt und dadurch mehr und mehr als solche wohl
auch empsunden würde.

IKunstblumen üringen mehr und mehr an die Stelle
von echten vor, künstliche Blumen, mit denen man ausgeht
nicht auf ein erfreuliches Spiel, sondern auf wirkliches
Täuschen unserer Vorstellung — das ist auch ein Zeichen
der Zeit und darf als solches einmal erwähnt werden.
Jn den Tafelaussätzen der Speisetische von Gasthäusern,
in den Vasen aus den Kommoden der Bürgersleute, ja,
in richtigen Blumentöpfen an den Fenstern gespenstern
häufiger und häufiger Blütter und Blumen ohne Leben
und Duft herum; sie sind auf die Dauer billiger als
„frische", und sie machen weniger Mühe. Wie farben- und
sormenschön die natürlichen Pflanzen sein mögen, die eine
Frau altmodischern Schlages noch an ihrem Fenster pslegt,
wie bunt und zierlich der Blumenstrauß sein mag, den
ihre und ihrer Kinder Hand im Garten am Haus oder
oom Wegrand im Felde gepslückt hat, nicht an dieser nur

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