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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0039

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Ein Heft meines Vaters aus Schoenleins Klinik 1819—1820. 19

genesen und „lebe noch heute." — Nach dieser Besprechung verordnete
Schoenlein Diät und, um besser untersuchen zu können, zunächst Ab-
führmittel. Am 14. Juli bezog er das Klopfen auf verhärtete Ge-
krösdrüfen und von da an erhielt die Kranke Calomel, Rhabarber,
Guajak, Löwenzahnextrakt, essigfaures Kali. Am 21. Juli war das
Klopfen weniger; was weiterhin erfolgte, ist nicht angegeben.

Die Hilfsmittel der klinischen Untersuchung waren noch äußerst
dürftig, vom Behorchen der Kranken mittelst Perkussion und Auskul-
tation ist nirgends die Rede. — Die Unterlasfung der Auskultation be-
greift sich aus dem Umstand, daß Laennecs „Dimito äs l'nusonltntion
moäiato^) erst 1819 im Druck erfchien, aber es ist für die Deutschen
beschümend, daß die Erfindung der Perknssion, die der Steiermärker
Auenbrugger schon 1761 in Wien als „novnra invsntnrn"*) **) veröffent-
licht hatte, noch in keiner Klinik Deutschlands geübt wurde. Sie mußte
ihren Weg von Wien, wo ihr Maximilian Stoll im vorigen Jahrhundert
nur eine flüchtige Aufmerkfamkeit geschenkt hatte, nach Dentschland
über Paris nehmen, um in ihrer außerordentlichen Bedeutung aner-
kannt zu werden. Erst Corvisart, Napoleons Leibarzt, hat sie ein-
gehender Prüfung gewürdigt und Auenbruggers Schrift, versehen mit
einer französischen Uebersetzung und einem ansführlichen Kommentar,
1808 aufs neue herausgegeben. Zwölf Jahre nachher wurde fie in
Schoenleins Klinik noch nicht geübt, — wie fehr war doch damals
die französifche Medizin der dentfchen überlegen! Bei Besprechung
des Empyems***) in der Klinik zählte Schoenlein die unsichersten
Symptome auf, z. B. das Einfchlafen eines Arms, aber der wichtigen
Erscheinung des dumpfen Schalls, die durch den Schlag mit dem Finger
oder Hammer an die Brustwand gewonnen wird, ist nicht gedacht.

Die Diagnofen des jungen Klinikers ruhen noch ganz in her-
kömmlicher Weise auf dem schwachen Boden der symptomatischen Auf-
fasfung der Krankheiten. Wo er verfucht, die Diagnosen auf ana-
tomischen Boden zu stellen, läuft er Gefahr, grob zu irren, weil die

*) ^uscmltation lliöäiats ist das Behorchen mittelst des Hörrohrs.

**) Die neue Erfindung.

***) Hier ist unter LuiMsmL die Ansammlung von Eiter im Sack des
Brustfells gemeint.
 
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