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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0040

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20 Ein Heft meines Vaters aus Schoenleins Klinik 1819—1820.

pathologische Anatomie zu wenig vorgearbeitet hatte. Diagnosen, wie
L^QOoliu, ir6nvo8N, ^sdriis Aasbrioo-i'liorilliLtion, l^irrrs

o tor-xoi-o u. a. dieser Art, die das Heft reichlich aufweist, sind heute
aus den Kliniken verschwunden; Schoenlein selbst verwarf später die
„essentiellen Fieber". Die Diagnose der lüsnitm oder Milzent-
zündung, die wir heute nur äußerst selten stellen dürfen, bringt das
Heft häufig. Schoenlein führte die Magenblutungen meist auf IAsll.iti8
znrück, es war eben noch nicht durch die Anatomen Cruveilhier und
Rokitansky festgestellt, daß sie meist von eigentümlichen Geschwüren
des Magens herrühren. Ebenso schlimm sieht es mit den Typhus-
diagnesen aus, hier ließen Schoenlein die pathologische Anatomie
und die Aetiologie*) im Stich, man hat heute gnt spotten, wenn
er einen Ganglien- und einen Gehirntyphus unterschied.

Das Heft teilt die Ergebnisse einiger klinischen Sektionen mit;
man merkt deutlich: allerlei Veränderungen der Organe, die erst in
der Leiche infolge von Senkung des Bluts nach den Gesetzen der
Schwere, von Fäulnis u. s. w. vorkommen, wurden als Erzeugnisse
der Krankheit, als Zeichen von Entzündung, Brand u. dgl. gedeutet.

Die Behandlung ist stets eingehend besprochen. Schoenlein liebte
das zuwartende Verfahren nicht, er griff mit Medikamenten entschieden
ein, machte auch vielen Gebrauch von kaltem und warmem Wasser in
Gestalt von Abwaschungen, Umschlägen, Begießungen, Wannen-, Sitz-
und Fußbädern. Er beschrieb die pharmazeutische Zubereitung der
Arzneimittel ausführlich, belehrte die Hörer über die Natnr und Her-
kunft der Droguen und gab Rezeptformeln in Menge. Ebenso aus-
führlich verbreitete er sich über die Anzeigen des Gebrauchs der ver-
schiedenen Heilmittel. An örtlichen und allgemeinen Blutentziehungen
wurde nicht gespart, auch nicht bei typhösen Kranken.

Jn dem Hefte findet sich noch keine Andeutung von dem natur-
historischen System der Pathologie, das Schoenlein später aufgebaut
hat, und er ist noch nicht frei von naturphilosophischen Anwand-
lungen. „Leber und Milz," steht wörtlich darin, „sind zwei ent-
gegengesetzte Pole, Eisen und Quecksilber auch. Eisen ist das starrste

*) Die Lehre von den Krankheitsursachen.

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