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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0048

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28

Auf der Landstraße.

lassen, sondern that besser, sie abzunehmen. Klopfte man die harte
Frucht mit glatten Steinen, so wurde ihr Fleisch weich und sastig —
wir sagten „mürbe" — und schmeckte köstlich wie säuerlicher Most.
Zwar behauptete der Herr Apotheker, der die Knaben des Orts bei
dem Schmausen der unreifen Aepfel betraf, sie wnrden die Ruhr davon
bekommen, aber wir blieben ganz gesund.

Auf den Aeckern schauten auch gutmütige weiße Rüben mit
blauroten Backen aus dem Boden zu mir heraus. Jch verstand die
Einladung, kostete und fand das Fleisch süßlich und etwas herb zu-
gleich, sür den Gaumen eine angenehme Abwechslung. Am besten
jedoch schmeckten die Weintrauben der Rebgelände, die sich zwischen
langen Wällen znsammengelesener Kalksteine an den Hügeln hinaufzogen.

Neben solchen erfreulichen Bekanntschasten in der Pslanzenwelt
verschafste mir die Tierwelt allerlei angenehme Unterhaltung. Jch
neckte die hurtigen Eidechsen, die in den Steinhanfen Versteckens spielten,
haschte flatternde Libellen und Schmetterlinge, und jagte im Umpfer-
bach nach Grundeln. Am liebsten aber schloß ich Freundschaft mit
den neugierigen Ziegen und mutwilligen Böcken, die der Hirt — er
war nur wenig älter als ich — an den Halden hütete. Jch be-
wunderte den Appetit der Tiere, womit sie ununterbrochen vom srühen
Morgen bis zum späten Abend den Magen füllten, aber der Hirt
fragte mich bedauernd: „Was? du bist ein Doktorsbub und kennst nicht
einmal den Vers, den jeder Bauernbub versteht:

„Heddel, bist sattd" —

„Bis auf ein Blatt!"

Dieses ungebundene Leben unter Gottes freiem Himmel gefiel
mir über die Maßen, dem Pfarrer von Schweigern aber nicht, er
brach den Unterricht ab und riet meinem Vater, mich außer Haus
bei einem guten Pädagogen unterzubringen, er wolle ihm dabei be-
hilflich sein.

Wir waren nun wieder so weit wie zuvor. Aufs neue kam
der Lehrer aus dem Nachbardorf, um mir Stunden zu geben, und
mein Vater versuchte es selbst, mich in das Latein einzuführen. Be-
schäftigten Aerzten aber ist es nicht möglich, ihren Kindern regel-
mäßigen Unterricht zu erteilen. Ging es nicht zu Hause, so nahm
 
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