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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0049

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Auf der Landstrciße.

29

er mich mit auf die Praxis, um mit mir unterwegs zu deklinieren
und zu konjugieren. ^nno, uniu8, uniut! Wie ich dieses umo haßte!
Neben dem Weg stieg aus dem Kornfeld jubilierend die Lerche zum
Himmel, am Bache standen die schönsten Weiden zum Flötenschnitzen,
und in Busch und Wald lagen in den Zweigen versteckt die nied-
lichsten Vogelnester mit Jungen zum Ausheben, und ich mußte kon-
jugieren: nmo, g.nm8, nnint!

Viel besser gefiel es mir, wenn mein Vater, statt Latein zu
treiben, mir erzühlte von Hannibal und Cüsar, von Kolumbus und
Englands großer Seemacht, Napoleons Thaten und Untergang. Oder
wenn er mir die wilden Moorrüben und Cichorien am Wegrain wies,
und im Lössand den kleinen Trichter, die Mördergrube, worin der
Ameisenlöwe listig anf seine Beute lauert. Auch pflückten wir den
herrlichen Frauenschuh (O^xmpsäinni enlesolu^), der da und dort
in jener Gegend auf dem Kalkboden gedeiht, und trugen ihn nach
Hause ins Herbarium.

Mein Vater wagte es sogar, mich der Leichenöffnung eines
kleinen Kindes anwohnen zu lassen, und zeigte mir die wichtigsten
Leibesorgane. Jch verschaffte mir hieraus einen toten Maulwurf und
zergliederte ihn zum Abscheu der Dienstmüdchen mit einem alten Bi-
stouri. — Bald hernach wurde die Sektion eines Erwachsenen ge-
richtlich angesagt und ich ließ meinem Vater keine Ruhe, bis er mich
mitnahm. Sie fand in einer Dorfscheune statt, ich entwischte aber
bald und trieb mich lieber im Freien umher.

Jch nahte dem neunten Lebensjahr, als Pfarrer Hermani meinem
Vater mitteilte, er glaube, in seinem Schwager, dem Pfarrer Ganz
in Buch am Ahorn, den richtigen Erzieher für mich gefunden zu
haben, und er täuschte sich nicht. Jch verließ das elterliche Haus
und kam zu dem braven Manne, dessen verständige Führnng mein
ganzes Leben entscheidend beeinflußt hat.
 
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