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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0059

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Zeitbegebenheiten.

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so betrachteten doch viele Beamte diesen Landesteil als das badische
Sibirien und sehnten sich wie Verbannte daraus weg. Seine Be-
wohner, ostfränkischen Stammes, standen an geistiger Begabung nicht
tieser als die Rheinfranken und Alemannen in den andern Teilen des
badischen Landes, aber sie lebten abseits vom großen Verkehr und ihre
politische Vergangenheit war eine schlimmere.

Kaum irgendwo im ganzen heiligen römischen Reich lagen so
wie zwischen Main und Neckar geistliche und weltliche, große und
kleine Herrschaften bunt dnrcheinander, und sast nirgends vielleicht war
der Bauer so schutzlos der Willkür der Bischöfe, des hohen und niederen
Adels preisgegeben. Die mächtigsten Herrn waren die Bischöfe von
Mainz und Wnrzburg und der Pfalzgraf vom Rhein, von den
kleinen die schlimmsten die Ritter von Rosenberg auf der Feste Box-
berg. Die malerischen Ruinen dieser Burg, worin ich mich als Knabe
mit den gleichaltrigen Gespielen so oft und gerne tummelte, sind von
der Höhe über dem Städtchen verschwunden; ihre Steine dienten zum
Bau des Stationsgebäudes, das in dem nahen Wölchingen an der
Bahn von Heidelberg nach Würzburg liegt.

Jn ewigen Fehden machten die gebietenden Herrn einander und
alle zusammen dem Bauern das Leben sauer. Wie gestrenge die
Rosenberger regierten, lehrt eine Erzühlung, die noch bei den Bauern
im Amte Boxberg umlief; ich erzähle sie, wie sie mein Vater mir
erzählt hat.

Eines Tags hatte sich der Jnnker von Rosenberg über seine fünf
Dorfschulzen schwer geärgert. Er entbot sie zu sich auf sein Schloß.
Vier davon trafen ein zur befohlenen Stunde, nnr der fünfte, der
Schulz von Schillingstadt, hatte sich unlieb verspätet. Erhitzt vom
eiligen Lanf nnd keuchend kommt er in Boxberg am Fuße des Schloß-
bergs an und will gerade den Burgweg hinanfsteigen, da kommt ihm
von oben ein Knecht entgegen, ein Schillingstadter Dorfkind, und ruft
ihm zu: „Wohin so eilig, Gevatter?" — „Zum gnädigen Junker,"
lautet seine Antwort, „er hat uns Schulzen aufs Schloß geladen, ich
fürchte fast, ich komme zu spät." — Da meint der Knecht: „Jhr
kommt noch zeitig genug, der gnädige Herr ist über euch Schulzen arg
aufgebracht, er wartet nur noch auf Euch, die vier anderen sind schon
 
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