Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0061

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zeitbegebenheiten.

41

wir Kinder vor dem Amthaus die Pritsche herrichten. Dann eilten
wir herbei, neugierig und besorgt, wir könnten das Schauspiel ver-
sehlen. Ein armer Sünder wurde vom Büttel vorgeführt, ausgebunden
und mit der ordnungsmäßig verfügten Zahl von Hieben bedacht. Sie
trafen denjenigen Teil des Leibs, den die Natur — nach dem alten
Glauben der Pädagogen — mit den innigsten Beziehungen zu den
Organen der Sittenlehre ausgestattet hat.

Aeußerlich erstarb der Bauer in Demut, aber es hieß von dem
Taubergründer und Odenwälder im Bauland: „er red't nit aus."
Der Haß glimmte versteckt im Jnnern fort, wider den Junker, dem
er Zehnten und Gülten entrichtete, und wider den Juden, der dem
Bauern in Handel und Wandel, Listen und Schlichen weit überlegen war.

Während der Julirevolution hielt sich das Land zwischen Main
und Neckar ruhig, aber 18 Jahre nachher, als der Thron Louis Phi-
lipps im Februar 1848 in Trümmer ging, da durchbrach der ver-
haltene Groll die festen Schranken, die ihm die Staatsgewalt bisher
gesetzt hatte. Was fast nirgendwo sonst im Großherzogtum geschah,
ereignete sich dort. Haufen Vermummter zogen von Ort zu Ort, von
Schloß zu Schloß, erbrachen die Archive, verbrannten die Gültenbriefe
und Urkunden und plünderten die Juden.

Wunderlicher Weise begab sich auch wieder ein Götz von Ber-
lichingen, ein Nachkomme des alten Götz, ein Mannheimer Schul-
kamerad und Heidelberger Studiengenosfe von mir, ein ritterlicher
jnnger Herr, zu den aufrührerischen Bauern. Was er ausrichtete,
habe ich nicht erfahren.

Beffer weiß ich Befcheid, wie es einem Studiosus Schloeffel er-
ging, der gleichfalls von Heidelberg zu den Bauern gereist war, aber
nicht um Ordnung zu stiften, wie der Sprosse des alten Ritterge-
schlechts, sondern um den Aufruhr zu schüren. Er war der Sohn des
wütenden schlesischen Demagogen Schloeffel, hatte anderthalb Jahre
zuvor, während ich Assistent an Pfenfers medizinischer Klinik war,
am Typhus darin gelegen und war dem Tode mit Mühe entronnen.
Von daher kannte ich ihn persönlich und wußte, daß er wie sein Vater
ein fanatischer Republikaner war. Zufällig traf ich ihn nach meiner
Heimkehr von Prag und Wien im März unterwegs im Eilwagen auf
 
Annotationen