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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0067

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Wertheim.

47

Der Vorgang hatte ein Nachspiel. Wenige Tage darauf begann
der große Wertheimer Jahrmarkt, der „Wörthmarkt", auf den Wiefen
vor der Stadt. Er dauerte 14 Tage und meine Schulkameraden
hatten sich fchon feit Wochen daranf gesreut, namentlich auf die Wurst-
buden und Karusselle, und von ihren Eltern das Meßgeld dafür er-
halten. Jch wagte den Psarrer nicht darum anzusprechen, seine kalte
Art hielt mich ab, und fo hatte ich, als das Fest gekommen war,
das leere Zusehen. Tief betrnbt stand ich vor den Holzpferdchen, die
so flink im Kreife liesen; beim Klange der Musik ritten meine Kame-
raden, kleine Degen in der Hand, an mir vorüber und stachen Ringe.
Da berührte plötzlich jemand meine Schultern. Jch fah mich um
und gewahrte einen freundlichen, noch jungen Bürgersmann, der mich
anredete: „Bist du der Knabe, der mir meinen Kleinen aus der
Tauber gezogen hat? Jch bin der Glasermeister, der an der Brücke
wohnt und möchte dir eine Frende machen. Nimm hier, mein Lieber,
einen Gulden Meßgeld!" — Warum ich mich fchleunigst davon machte,
ftatt zuzngreifen und auf ein Pferd zu steigen, was ich noch eben fo
fehnlich gewünfcht hatte, kann ich nicht sagen. Jch fühlte mich be-
glückt und hätte um keinen Preis der Welt für meine That Geld
angenommen. Nachdem ich eine kleine Strecke gelaufen war, sah
ich mich nach dem Glaser um, er stand noch an dem Karusfell und
fchaute mir lächelnd nach.
 
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