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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0082

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62

Heidelberg.

„Lange lieb' ich dich schon, möchte dich mir zur Lust
Mutter nennen und dir schenken ein kunstlos Lied,

Du, der Vaterlandsstädte
Ländlich schönste, so viel ich sah."

Zu des begeisterten Dichters Füßen glänzt der Neckar, an der Stadt
vorbei zieht der Fluß hinans in die reizende Ebene, um hier liebend
unterzugehen; in den Wellen beben dre Bilder seiner Gestade und
über ihn schwingt sich leicht und stark die Brücke, wie der Vogel des
Waldes über die Gipfel fliegt. Von den Hügeln rauschen die Wälder
herab anf die gigantische, schicksalsknndige, von den Stürmen nieder-
gerissene Burg, die Sonne gießt verjüngendes Licht auf das alternde,
epheuumgrünte Riesenbild.

„Sträuche blühen herab, bis wo im heitern Thal
An den Hügel gelehnt oder dem Ufer hold
Deine fröhlichen Gassen
Unter duftenden Gärten ruhn."

Klassische Verse und ein wunderbares Gemälde der idealen Land-
schaft, aber kein kunstloses Lied, wie es das Volk zum Gesang hin-
reißt und wie srohliche Gesellen es hinausschmettern im grünen Wald,
auf schaukelndem Kahn, oder beim perlenden Wein. Der Meister, der
diese Weise fand, mußte erst noch kommen. Als wir Gymnasiasten
die Ode Hölderlins rezitierten, saß auch er noch auf der Schulbank
und schmiedete in Karlsruhe deutsche Verse nach griechischem Takt.
Bald aber lehrten ihn Fink und Lerche in Wald und Flur aus sreier
Kehle frisch und sröhlich singen. Der Frühling kam und sein Lied,
ein Brautlied, zart und jubilierend, wie es nur der gottbegnadete
Sänger singt, pries Altheidelberg, die Feine und Ehrenwerte:

„Und kommt aus lindem Süden
Det Frühling übers Land,

So webt er dir aus Blüten
Ein schimmernd Brautgewand.

Auch mir stehst du geschrieben
Jns Herz gleich einer Braut,

Es klingt wie junges Lieben
Dein Name mir so traut."
 
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