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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0086

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Heidelberg.

I chen zu Füßen des gesprengten Turmes, wir nannten es das Matthis-
Fons Thülchen, dem elegischen, damals sehr gefeierten Dichter zu
Ehren. Die Sängerin ist entslohen, verscheucht von dem jührlich
wachsenden Lärm der Fremdenschwärme; sie nahm ihre Zuflncht zu
der friedlichsten Stätte in Heidelbergs Umgebung, dem städtischen Fried-
hof an der Rohrbacher Straße, dem wenige in Deutschland an Schön-
heit gleichkommen.

Wie der Schloßgarten, ist auch die schönste Straße der Stadt,
die Leopold^straße mit Allee und Anlagen, eine Schöpfung der ersten
Jahrzehnte dieses Jahrhunderts. Sie war 1830 fertig geworden, mit
ihr die Sophienstraße, die an der Stelle der ehemaligen westlichen
Umwallung zum Neckar und der neuen Brücke sührt. Bis dahin war
die Leopoldsstraße nur ein Fußpfad gewesen, den man am Ende des
vorigen Jahrhunderts nach der Abtragung der Festungswerke angelegt
hatte. Es geschah zur Zeit der französischen Revolutionskriege, und
der Spazierweg erhielt den Namen „der Pariser," weil auf ihm nach
seiner Herstellnng sofort die Franzosen, die alten schlimmen Bekannten,
eingezogen waren, um ihren gewohnten Besuch abzustatten.

Nachdem der Weg zur Fahrstraße geworden war, hieß er noch
immer „Pariser", auch „Anlage", sein amtlicher Name Leopoldsstraße,
zn Ehren des Großherzogs Leopold, kam nur allmählich in Gebrauch.

Als ich das Lyceum besuchte, standen erst wenige von den heutigen
Bauten an der Leopoldsstraße, es waren nur Gärten und Anlagen
da und die beiden alten Friedhöfe, der hentige an der Rohrbacher
Straße wurde erst 1844 eingeweiht. Einer der alten Friedhöfe um-
gab die damals noch ganz schmucklose St. Peterskirche mit ihrem un-
fertigen Turm, der andere lag in dem Winkrl zwischen Leopolds-
und Sophienstraße bei der St. Anna-Kapelle. Aus diesem wohnte
ich noch Beerdigungen bei.

Die Leopoldsstraße war ihrer schattigen Allee und der hübschen
Ausblicke nach dem Schloß und den Bergen wegen, auch um ihrer
geschützten Lage und friedlichen Stille willen, ein beliebter Spazier-
weg, namentlich sür ältere Gelehrte, denen der Weg aust das Schloß
zu steil war. Die bequem ansteigende Fahrstraße, die Stiftung eines
Heidelberger Arztes, des I)n. Kleinschmidt, führt erst seit 1875 hinauf.
 
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