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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0091

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Das Heidelberger Lyceum.

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auch bei ihm blieben uns die idealen Schütze der alten Welt ver-
schlossen, über die rein grammatische Schulung kamen wir nicht hinaus.
Nur durch eigenen Trieb und privates Studium habe ich mich mit
den Meisterwerken der griechischen und römischen Litteratur und dem
Geiste, der sie durchweht, bekannt gemacht.

Gar übel stand es um unsern mathematischen Unterricht. Die
Schulbehörde hatte damit einen Dozenten der Universitüt betraut,
dessen wissenschaftliche Arbeiten bei seinen Fachgenossen recht geschätzt
waren, seine Lehrmethode aber taugte nichts. Von meinen sämtlichen
Mitschülern konnte ihm nur einer folgen, der bei eiuem Privatlehrer
besondre Stunden nahm. Ebensowenig taugte sein Unterricht in
der Physik; wir bekamen keine Versuche, keine Apparate zu sehen,
nur mathematische Formelu auf der Schultafel. Die Unzufriedenheit
der Schüler war groß. Sie sührte bald nach meiuem Abgaug vom
Lyceum zu einer Verschwörung. Die Jungen wollten seine Entfernung
aus dem Lyceum durchsetzen und blieben deshalb bei der öffentlichen
Schulprüfung auf alle seine Fragen die Antwort schuldig. Die Ver-
abredung lag osfen zu Tage. Man wies die Rädelsführer aus dem
Lyceum, den Zweck ihres Komplotts haben sie nicht erreicht.

Jn der Sexta war Philosophie vorgeschrieben. Die Schul-
behörde hatte einen Fachgelehrten dafür gewonnen und eben angestellt.
einen Schüler Krauses. Er muß sich eines gewissen Ansehens erfreut
haben, denn bald nachher wurde er als Lehrer der Philosophie an
eine Universität berufen. Wir waren voll Erwartung; er follte uns
in Logik, Psychologie und Metaphysik unterrichten, und er ließ es
an Eifer und Mühe nicht fehlen, aber doch lag die Schuld nicht an
uns, weun wir von der höchsten aller Wissenschaften nur wenig be-
griffen. Unser Lehrer war fchwerfüllig und ungelenk, leiblich und
geistig. Er diktierte nns stundenlang in die Feder, war aber nicht
im stande, seine Lehrsütze mündlich klar zu entwickeln. Am besten ge-
fiel mir seine Metaphysik; er versuchte es, dem Uebersinnlichen mit
dem Kreidestist durch bildliche Darstellung beizukommen. Er malte
Gott und oie Welt mit sämtlichen Kräften, die das All bewegen und
zufammenhalten, in Form von in einander geschachtelten Kreisen an
die Schultafel. Diefe Zeichuung leuchtete mir ein, und vor Freude
 
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