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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0092

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Das Heidelberger Lyceum.

dichtete ich ein metaphysisches Trinklied nach Baggesens Beispiel, und
wir sangen es nack der Melodie: „Die Welt ist rund und muß sich
dreh'n", Samstag abends im Bremeneck; man hatte uns erlaubt,
in dieser, durch die Rodenstein-Lieder jetzt so berühmt gewordenen Bier-
wirtschaft einmal in der Woche heitere Geselligkeit zu pflegen.

Endlich, im Herbst 1840, schlug die Stunde meiner Erlösung
aus dem verhaßten Froschteiche. Als Erster mußte ich die lateinische
Abgangsrede halten. Außer dem Prüfungskommissär, Professor Kaercher
von Karlsruhe, achtete von den vielen Teilnehmern und Gästen
niemand auf mein schönes Latein, und es kam mir vor, als ob dieser
Einzige nicht sonderlich davon erbaut wäre.

Nach meiner, wie ich glaube, berechtigten Ueberzeugung, habe ich das
letzte Jahr aus dem Lyeeum nutzlos verloren; ich hütte es besser sür
neue Sprachen, Zeichnen, Mathematik und Naturwissenschaften verwendet.

Wie es in den unteren Klassen aussah, weiß ich aus eigener
Kenutnis nicht zu sagen, ich könnte deshalb das Kapitel schließen,
aber mancher Leser früge vielleicht enttäuscht: wo bleiben denn die
berühmten Schulgeschichten von dem merkwürdigen Kauz, der damals
das Klassenszepter über der Quarta schwang? Und in der That, zu
dem Bilde jener Zeit gehört notwendig die lange vornübergebeugte
Gestalt des Klassenlehrers der Quarta mit den buschigen Brauen, den
wulstigen Lippen und der bedächtigen Rede, deren dialektische Färbung
die nahe ländliche Heimat des unvergeßlichen Schulmanns unschwer
verriet. Der Kreis seiner noch lebenden Schüler verengt sich immer
mehr, und es ist Zeit, seine Aussprüche zu sammeln, ehe er zur
mythischen Gestalt verblaßt in Nacht und Nebel versiukt. Einer
meiner alten, mir leider kürzlich entrissenen Freunde gehörte zu jenem
Kreise. Er war zu trüben Verstimmungen geneigt, und wenn der
finstere Geist über ihn kam, besaß ich ein sicheres Mittel, diesen zu
bannen; ich citierte den Schatten des seligen D Dann ging die
Sonne der Heiterkeit strahlend am Himmel auf, wie in den längst
entschwundenen Tagen der Heidelberger Schulzeit. Eine kleine Blüten-
lese aus den Erzählungen meines Freundes sei dem Andenken des be-
rühmten Professors gewidmet.
 
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