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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0093

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Das Heidelberger Lyceum.

73

Der gelehrte Thebaner liebte es, seinen Quartanern Kommentare
zu den Schriftstellern, die sie übersetzten, zu diktieren. Das Wort
Loala schien ihm einer Erläuterung dringend bedürftig. „^-ä voosm:
Loala!" rief er der Klasse zu, „schreibt ihr Buben: vermöge einer
Treppe pflegten die Römer aus dem unteren in den oberen Stock
zu gelangen."

Auch große Gelehrte sind mitunter zerstreut. So ist es denn
nicht zu verwundern, daß es ihm begegnete, die lateinischen Genns-
regeln zu vergessen. „Wer ist heute an der Reihe?" begann
er eines Tags die Stunde. — „Der Müller, Herr Professor!" rief
es zurück aus den Bänken. — „Gut! Müller, nenne mir die geschlecht-
lichen Beugeformen von illo!" — „Illo, illu, illuä, jener, jene,
jenes." — „Falsch, Müller! vivut 86<gu6N8! Fischer, sag' du's!" —
„Illo, illu, illmn." — „R,6ol6 äixmti, du hast recht! 'runter,
Müller! 'nauf, Fischer!" — Da protestiert Müller: „Herr Professor,
hier in meiner Grammatik von Zumpt steht illuä." — Er schaut hineiu,
da steht illuä. „Guck emol an", korrigiert er sich, „der Zumpt hat
wahrhaftig illuä. Da wollen wir Gnade vor Recht ergehen lassen.
Müller, du kannst meinthalben sitzen bleiben!"

Die Topograsie der alten Welt giebt harte Nüsse aufzuknacken.
— „Sag' einmal, Müller, auf welchem Ufer des Euphrat hat Babylon
gelegen?" — „Auf dem linken, Herr Professor." — „Fischer, sag
du's besser!" — „Auf dem rechten!" — „Gut, Fischer, setz' dich
'nauf!" — Aber der Müller protestiert: „Herr Professor, in meinem
Buchesteht: Babylon hat an beiden Ufern gelegen!" — „Jch will
euch etwas sagen", erklärt jetzt der Professor, „ihr habt beide recht.
Dein Babylon, Müller, hat auf dem linken Ufer gelegen, dein Babylon,
Fischer, auf dem rechten, und mein.Babylon am linken und rechten.
Jn Gottes Namen, ihr könnt beide sitzen bleiben!"

Am besten zog er sich in der Geschichtsstunde aus der Verlegen-
heit. Er hatte gerade von der Schreckenszeit der französischen Re-
volution erzählt und daß die Franzosen sogar ihren König geköpft
hätten. Ein vorlautes Bürschlein rief: „Die Königin haben sie auch
geköpft!" — „Ei! wo deukst du hin?" korrigierte er den Knaben:
„Die Franzosen sollen ihre Königin geköpft haben? Ein so hösliches,
 
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