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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0095
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Mein Bruder Rudolf.

T^er Bruder, der mir im Alter am nächsten stand, hieß Rudolf.
Er besuchte, wie ich, das Lycenm, hütte aber besfer für eine Kriegs-
schule getaugt.

Schlank und hoch gewachsen hatte sich mein Bruder mit siebzehn
Jahren bereits so kräftig entwickelt, wie ein nennzehnjähriger Jüng-
ling. Er glich meiner Mutter, hatte dunkle Haare, eine bräunliche
Hantfarbe und die stolze Haltung eines spanischen Hidalgo. Sein ver-
wegenes Herz kannte nicht Furcht noch Gefahr nnd dürstete nach
Abenteuern.

Die Kinderjahre hatten ein so kräftiges Gedeihen Rndolfs nicht
voraussehen lassen. Seine Augen waren lange skrofulös entzündet
und dadnrch am Sehen behindert gewesen; als er eines Tags unter
der Bettlade eine blinde Ratte fing, war die Freude der Geschwister
groß, — ein Blinder hatte eine Blinde gefangen! Jm zehnten Jahre
befiel ihn nach einem leichten Stoß an das Schienbein eine Beinhant-
entzündung, die ihn Monate lang ans Bett fesselte. Mit dem Ein-
tritt der Mannbarkeit verlor sich diese krankhafte Anlage völlig, er
wurde stark und kerngesund.

Je länger der Knabe Latein und Griechisch trieb, desto weniger
gefielen ihm die alten Sprachen, seine Zeugnisse wurden mit jedem
Jahre schlechter. Als mein Vater im Sommer 1841 wieder ein-
mal nach Heidelberg kam, um bei uns nachzusehen, waren Rudolfs
Noten so überaus schlecht ausgesallen, daß er, in hohem Grade auf-
gebracht, dem großen Menschen eine Ohrfeige gab. Rudols entfernte
 
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