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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0115

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Komfort und Lebensgenuß.

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Die Früchte des Meeres, die man als Seefische und Schaltiere
aus seinen Tiefen holt, erhält man heute mit Eilzügen allenthalben
im Binnenland auf Eis frisch zugeführt. Wir kannten sie als Stu-
denten nur mariniert, gesalzen und geräuchert, als großes Labsal nach
durchwachten Nächten, frische Hummern und Austern lernte ich erst
in Hamburg 1848 schätzen. Viele meiner Bekannten vermochten sich
mit diesen leckeren Bissen zeitlebens nicht zu befreunden, weil sie ihre
Bekanntschaft nicht in der Jugend gemacht hatten.

Jch hätte diese Thatsache als Professor der Medizin in Straß-
burg beherzigen und in den siebenziger Jahren zwei alte Studiensreunde
nicht mit solchen ungewohnten Genüssen überraschen sollen, als sie
meiner Einladung folgend aus Offenbura zu mir herüberkamen. Sie
hatten mir eine Jagdbeute geschMfiml junges Reh, und ich beschloß,
sie mit Austern und Hummern zu regalieren. Der Markt in Straß-
burg ist mit Erzeugnissen der See vorzüglich versehen, und ich freute
mich im voraus an dem Vergnügen, das ich dem Ganmen der lieben
Freunde bereiten würde. Leider erging es den Armen wie der Land-
maus in der üsopischen Fabel bei der Stadtmaus. Sie saßen hungrig
vor ihren Tellern und rührten nicht Austern noch Hummern an, erst
der Rehbraten brachte sie und mich aus großer Verlegenheit.

Sogar die Genußmittel Kasiee und Thee, die hente schon den
Kindern — sicherlich nicht zu ihrem Vorteil — zum Frühstück vor-
gesetzt werden, spielten damals bei weitem nicht die Rolle wie heute.
Suppen aus Hafermehl, auch Kartoffelsuppe und solche aus geröstetem
Mehl, waren noch in vielen bürgerlichen Familien der Stüdte nnd
besonders beim Landvolk das gebräuchliche erste Frühstück. Jn dem
Freiburger Krankenhause wurde bis 1864 Suppe zum Frühstück ver-
abreicht; die Kranken, namentlich die kranken Köchinnen, rebellierten
aber von Jahr zu Jahr mit größerer Heftigkeit und blieben lieber
nüchtern, als daß sie Suppe aßen; man sah sich zuletzt gezwungen,
Kaffee zu geben.

Der chinesische Thee war noch in den fünfziger Jahren beim
Landvolk kaum bekannt. — Als Arzt in Kandern ritt ich 1852 an
einem schönen Sommerabend nach Bürgeln anf der Höh', einer ehe-
maligen Probstei der Aebte von St. Blasien mit einer berühmten Aus-
 
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