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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0134

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Der Fuchs.

rühmter Gemalde lieferten, namentlich aber mit dem Einzeichnen von
Wappen und Zirkeln der Verbindnngen und den Namen der Mit-
glieder viel Geld verdienten. Man beschenkte sich gegenseitig znm An-
denken mit solchen Pfeifenköpfen. — Das Wirtshaus zur Molkenkur
ist die Schöpfung eines Pfeifenmalers Namens Wagner.

Das Pfeifenrauchen erzeugte in Heidelberg auch einen besondern
Handelszweig, den Binsenhandel. Das durchaus notwendige, häufige
Reinigen der Pfeifenrohre ließ sich am besten mittelst fog. Binfen
ausführen. Man besorgte das garstige Geschäft ungern felbst und
überließ es, wie auch das Anranchen der Pfeifenköpfe, das den Magen
stark angreift, am liebsten den Herrendienern, von den Studenten
Stiefelfüchse genannt, denen das Wichsen der Stiefel und das Putzen
der Kleider oblag. — Unter Binfen verstand man die langen und
steifen Halme einer hohen Grasart, der Noliiria oosimlea, die auf
den Berghalden um Heidelberg in Menge wüchst. Mit eigentlichen
Binfen haben diefe Grashalme wenig gemein. — Den Handel damit
betrieb ein Mensch von kretinischem Ausfehen, aber spekulierendem
Sinn, der auf dem Schloßberg Hans und Familie befaß. Er fchnitt
und fammelte die reifen Halme, trocknete sie vollends, band sie zu
Büfcheln, brachte und verkaufte sie den Pfeifenrauchern in den Wirts-
und Privathäufern. Er reiste fogar mit feiner Ware und war an
vielen deutschen Universitäten als Heidelberger Binsenbub bekannt.
Da er sich beschränkter stellte als er war, fo galt er bei den Musen-
söhnen für das Urbild geistiger Beschränktheit nnd man nannte „Binfen-
wahrheiten" folche, die fogar der Binsenbub verstand. Der Ausdruck
ist ans der Studentenfprache in die Schriftfprache übergegangen, feine
Herkunft dürfte vergesfen fein.

Nach dem Tode Binsenbubs I übernahm sein jüngerer Bruder
Binsenbub II das Geschäft. Er war das Zerrbild des Gründers
diefer Dynastie und überbot ihn weit an groteskem Benehmen. Als
die Tabakspfeife in den fünfziger Jahren mehr und mehr der Cigarre
wich und der Binsenhandel nicht mehr rentierte, versuchte er es mit
Blnmenstrüußchen und überreichte sie in Gasthöfen, öffentlichen Gärten
und an den Bahnhöfen namentlich reisenden Damen unter lücher-
lichen Grimafsen und Verbeugungen.
 
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