Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0176

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
156

Die allgemeine Studentenschaft.

Boden, wie ihn botanische Ausflüge, die klinische Gemeinschaft und
das Zusammentreffen in Professorenfamilien gewährten, kam ich an-
genehmen Kommilitonen näher, die der Reformpartei angehörten, ich
lernte sie schätzen und ihre Bestrebungen würdigen. Mocht' ich es äußer-
lich auch ungern bekennen, ich entfremdete mich allmählich dem Korps-
wesen. Es entbehrte der idealen Ziele, die ein frei und patriotisch
gesinntes Herz erstrebt; die Burschenehre, der die Wafsenverbindungen
ihre blutigen Opfer xno xatniu brachten, wurde mir unverständlich,
und die Gunsff deren sie sich bei den Regierungen ersreuten, verdächtig.

So war der Herbst 1844 herangekommen, die Vorlesungen
hatten bereits begonnen. Als ich eines Morgens hinter den Büchern
saß, überraschte mich in srüher Stunde mit seinem Besuche einer
meiner liebsten Freunde, den ich seit den Osterferien nicht mehr ge-
, sehen hatte. Es war stnä. insä. Eduard Bronner, gebürtig aus
Wiesloch, somit mein nächster Landsmann, der Sohn des badischen
Oekonomierats Bronner, Besitzers der dortigen Apotheke, eines un-
, gemein rührigen Mannes, der seinen Titel den Verdiensten verdankte,
die er sich um den Weinbau in Baden erworben hat.

Mein Freund hatte das Heidelberger Lyceum besucht und seine
ersten medizinischen Studienjahre gleichfalls in Heidelberg zugebracht,
war auch Schwabenbursche geworden. Der Ruf des Chirurgen Stro-
meyer hatte ihn nach Freiburg gezogen, wo er zwei Semester ver-
weilte, sein letztes wollte er jetzt wieder in Heidelberg verbringen.
Kaum angekommen suchte er mich auf, um sein Herz auszuschütten.
Er wollte eine patriotische Pflicht erfüllen, ich sollte dabei mithelfen.

Eduard Bronner war von Gestalt klein, aber gewandt und
von aufgewecktem, edlem Geiste, sreigesinnt und ein schwärmerischer
Patriot. Er hatte im Laufe des letzten Jahrs die Ueberzeugung
der liberalen Presse gewonnen, daß die Korps die unbewußten Werk-
zenge des Metternichschen Systems seien, die Pflicht gegen das Vater-
land erheische, die Opposition in ihren Bestrebungen zu unterstützen.
Der Krebsschaden des Studentenlebens sei das Mensurwesen, wie es
die Korps ausgebildet und zu ihrer wesentlichen Ausgabe gemacht
hätten. Es beschüftige sie völlig und mache sie blind und taub für
die höchsten Jdeale des Lebens, zur größten Freude der Blittersdorf,
 
Annotationen