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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0218

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198

Friedrich Tiedemann.

tauchen und diese als Milchsaft (eli^lus) dem Blute zufuhren. — Jn
der Erinnerung an jenes Bild begriff man in der späteren Praxis
leicht, daß es nnendlich schwer hälff den vielgewundenen Schlauch mit
den zahllosen Falten, Zotten und Nischen von eingedrungenem giftigen
Staub oder gar von Myriaden mikroskopischer Lebewesen zu säubern.

Obgleich Tiedemann die Physiologie an Bischoff abgegeben hatte,
liebte er es doch, einen und den andern lehrreichen physiologischen
Versuch in die anatomische Vorlesung einzuflechten. — Ebenso berühmt
als drollig war der Versnch zum Nachweis des Uebergangs flüchtiger,
eingeriebener Oele von der Haut in die Nieren. Dazu diente Terpen-
tinöl, das sich rasch durch Veilchenduft des Nierensekrets verrät. Beim
Beginn der Vorlesung stand Jakob mit dem Oelfläschchen gerüstet be-
reits im Hintergrnnd. Tiedemann las uns zuerst an seinem Tische den
Gang des kommenden Versnches vor, besah seine Uhr und winkte.
Sofort rieb sich Jakob die Hände mit dem Oel ein und ging dann
zur Seite. Von zehn zu zehn Minuten kam er und brachte in offenem
Gefässe beweisende Substanz, die zur Prüfung in den Bänken von
Hand zu Hand ging, während die Vorlesung über die Anatomie der
Nieren ihren Gang nahm.

Mit unbegrenztem Wohlwollen kam Tiedemann fleißigen Schülern
entgegen. Der fleißigste von allen war ein origineller Frankfurter, der
es später zum berühmten Physiologen gebracht hat: Moritz Schiff.
Schon das Aenßere des kleinen Mannes war anffallend. Er trug
abweichend von den Kommilitonen den Hals ganz frei und über dem
Rock einen breit heransgelegten Hemdkragen. Sein Wissensdurst war
unstillbar. Hatte Tiedemann ein Präparat zuerst vorlesend beschrieben
und dann noch mehrmals mit denselben Worten vor den Bänken demon-
striert, so ließ es ihm keine Ruhe, bis er den unermüdlichen Lehrer
nach der Vorlesnng dazu gebracht hatte, das Präparat zum fünften oder
sechstenmale zu beschreiben. Tiedemann war bei den Lnftwegen angelangt
und hatte einen freigelegten Kehlkopf nebst der Luftröhre mit den
Worten vorgewiesen: „Sie sehen hier, meine Herrn, den menschlichen
Kehlkopf mit der Lnftröhre; er enthält das Stimmorgan in Gestalt der
unteren oder echten Stimmbänder; sie geraten in tönende Schwingungen,
wenn sie gespannt nnd angeblasen werden. Jn der That, würde ich
 
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