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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0239

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Friedrich August Benjamiu Puchelt.

21S

Eins nur war an Puchelt auszusetzen und wurde ihm gefährlich, so-
bald ein klinischer Rivale ihm darin überlegen war, seine übermäßige
diagnostische und lherapeutische Vorsicht, die zuweilen über das ge-
botene Maß hinaus ging, bis zur Zaghaftigkeit und zur ängstlichen
Unschlüssigkeit.

Bis zum Frühjahr 1844 hatte sich Puchelt der Gunst seiner
klinischen Schüler erfreut. Sie hatten ihm noch im Winter 1842/43 ein
Fackelständchen gebracht, wobei ich mitwirkte. Er dankte herzlich und
rief uns zu: es sei ein schvner und wahrer Spruch Goethes, was
man in der Jugend wünsche, habe man im Alter in Fülle, — aber
der Spruch betrog ihn. Sein Alter war voll von bitteren Ent-
täuschungen.

Nachdem Pfeufer von Zürich eingetroffen war und als zweiter
klinischer Lehrer zu wirken begonnen hatte, wandten sich die jungen
Mediziner sast ausnahmslos ihm zu und Pnchelts Klinik verödete.
Obwohl die zweite Klinik nur wenig mehr als ein drittel von der
Bettenzahl der ersten faßte, fand die zuströmende Menge der Hörer
doch kaum Platz in ihren Räumen. — Dieser unerwartete Abfall der
Schüler muß den alten Herrn schwer getroffen haben. Bald snchten
ihn daneben böse Gebrechen heim. Der Arme verlor das Augenlicht.
Fast erblindet hielt er noch Vortrüge über Geschichte der Medizin,
aber 1852 sah er sich gezwungen, das Lehramt ganz niederzulegen
und 1856 raffte ihn ein barmherziger Schlagfluß weg.

Was mochte den Absall verschuldet haben? Puchelt übertras Pfeufer
an pathologischem Wissen und stand an diagnostischer Fertigkeit nicht
allzuweit hinter ihm zurück; was Pfenfer ihm überlegen machte, war
dessen mächtige, die Jngend fesselnde, entschlossene Persönlichkeit.
Nahm der Schüler Pfeufer zum Vorbild, so winkte ihm Erfolg und
Glück in der künftigen Praxis, wührend Puchelts Zaghaftigkeit ihn
entmutigte. Jm Kollegsaal gar ließen die tödlich langweiligen, aus
dem Buche abgelesenen Vorlesungen des alten Professors keinen Ver-
gleich zu mit den freien, frischen Vorträgen des jungen.

Eine denkwürdige Erinnerung an eine der Vorlesungen Puchelts
über allgemeine Pathologie mag ein Bild von seiner Vortragsweise
im Kollegium dem Leser geben und dieses Kapitel schließen.
 
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