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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0240

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Friedrich August Benjamin Puchelt.

Puchelts Vorlesungen über spezielle und allgemeine Pathologie
fanden abends statt. Nachdem ich sie einigemale gehört, besuchte ich sie
nur noch an den seltenen Tagen, wo mich die Freunde vor der Zeit
zum Biere verleitet hatten und ich befürchten mußte, meinen ganzen
Abend zu verlieren. Um dieser Gefahr zu entgehen, rettete ich mich
an einem Winterabend aus dem Freundschaftskreise zu Puchelt. Auf
den Straßen lag Schnee und Eis, im Hörsaal strömte behagliche Wärme
aus dem glühenden Ofen. Einige Talglichter verbreiteten ein Dämmer-
licht in dem stillen Raum, worin sich nur spürliche Hörer, eine Aus-
wahl von fleißigen Jünglingen, zusammengefunden hatten. Wie immer
trat fast unbemerkt mit leisem Schritte der Meister unter uns, bestieg
den Lehrstuhl, legte den ersten Band seines Handbuchs auf den Stuhl,
beugte das Haupt nahe darüber und ließ nun das System in sanstem
Regen anf uns niederrieseln. Mit wechselndem Glück, im ganzen sieg-
reich, erwehrte ich mich des Schlummers, der mich zudringlich beschlich;
mein Nachbar dagegen znr Rechten erlag in dem Kampfe, er nickte
tieser und tiefer, kreuzte zuletzt die Arme und legte das schwere Haupt
zu tiefem Schlafe darüber. — Die Vorlesung ging zu Ende, der Meister
schloß das Buch und verließ geräuschlos, wie er gekommen, Lehrstuhl
und Saal. Der Nachbar schlummerte weiter. Wir mochten ihn nicht
wecken, er schlief so sanft, wir verständigten uns durch leise Winke,
löschten die Lichter und schlichen davon. — Er wollte uns nie ge-
stehen, wie lang er süßes Vergessen der Sorgen und Mühen eines
braven Musensohns in dem trauten, der Wissenschaft geweihten Raume
gefunden hatte.
 
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