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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0243

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Mciximilian Jofef von Chelius.

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Chelius nicht, darin überragten ihn deutsche Kollegen, der ältere Gräfe,
Michel Jäger, Dieffenbach und Stromeyer, aber sein Handbuch sicherte
ihm das Verdienst, die besten Grundsätze und Heilverfahren der
Chirurgie seiner Zeit über die ganze Erde verbreitet zu haben.

Chelius operierte schön und sicher. Er war in seiner Kunst
wie in seinen politischen Anschauungen streng konservativ. Mein
Schulfreund Dettmar Alt war lange Jahre sein Assistent und gewann
ein sicheres Urteil über die Heilerfolge seines Meisters in nnd außer
der Klinik. Er kam zur Ueberzeugnng, daß Chelius sich das allge-
meine Vertrauen weit mehr noch dnrch glücklich erhaltene, als glücklich
entfernte Gliedmaßen erworben habe. Er bewahrte beim Operieren
eine bewnndernswerte Ruhe, was vor der Einführung der Aether- und
Chloroform-Narkose eine schwierigere Sache war als heute. Jch sah
ihn niemals anfbrausen und heftig werden, nie seine edle Haltnng
verlieren; auch die gemeinsten Naturen hielt er dnrch seine Formen
nnd klugbemessene Worte in den gebührenden Schranken.

Den Fünfzigen nahe war Chelius noch immer ein schöner Mann,
schlank gebaut von Mittelgröße, feinen Gesichtszügen und Gliedern.
Er pflegte die ambnlatorische Klinik, die der Visite vorausging, auf
einem hohen rnnden Stuhle sitzend abzumachen, die Beine hüufig ge-
kreuzt und eiaen Fuß frei in der Lnft wiegend. Wir bewunderten
dann dessen Kleinheit und meinten, anch die zierlichste Dame dürfe
unsern Meister darum beneiden.

Jm Sommer gab Chelius den Operationskurs frllh 5 Uhr.
Wir Studenten waren oft schlastrunken, er einen Morgen wie den
andern frisch und mnnter. Die Vorlesungen über Chirnrgie nnd
Augenheilknnde hielt er morgens von 8—9 im Winter, von 7—8im
Sommer. Obwohl er sehr gut aus dem Stegreife sprach, las er doch
seine Handbücher ab, nur nicht in der Weise Pnchelts wie ein mur-
melnder Quell, sondern pathetisch, fast feierlich. Die Klinik begann
um 11 Uhr und dauerte 1 — 2 Stunden. je nachdem operiert wurde
oder nicht. Jn der ambulatorischen Klinik, die nnr bei größeren
Operationen vorher vom Assistenten allein erledigt wnrde, gab es viel
zu sehen und zu verordnen, beim Untersuchen aber ging es oft flüchtig
zu und gaben die „Schnelldiagnosen" zn manchen Scherzen Anlaß.
 
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