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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0245

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Franz Karl Naegele.

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nicht wenig verdient gemacht. Er versah die Geburtszange mit einem
ebenso einfachen als geschickten Schlosse, die „Naegelesche Zange" über-
traf an Handlichkeit und Leichtigkeit alle andern. Mit Eifer ver-
focht er die Grundsätze des Wieners Boer, dessen schonendes, humanes
Vorgehen er uns nicht genug rühmen konnte, und bekämpfte den sträf-
lichen Mißbrauch, den manche Geburtshelfer seiner Zeit, namentlich
der ältere Osiander in Göttingen, mit gewaltsamen Eingrifsen in den
normalen Geburtsvorgang trieben. Endlich bescherte er den Hebammen
ein ausgezeichnetes Lehrbuch, das 11 Auflagen erlebte; der Geschicht-
schreiber der Geburtshilfe, Professor I. v. Siebold, rühmte es als
ein treffliches Handbuch, das auch von Geburtshelfern mit Nntzen
gelesen werde.

Naegeles Klinik diente nur zum Unterricht in der Geburtshilfe.
Obwohl seine erste größere Schrift „Erfahrungen und Abhandlungen
auf dem.Gebiete der Krankheiten des weiblichen Geschlechts" (1812)
lautete, nahm er in feiner Anstalt, vermutlich aus Mangel an Raum,
keine andern Franen als Schwangere und Gebärende auf. Das
wenige, was wir Studenten von Frauenkrankheiten lernten, wurde
uns in den beiden andern Kliniken gelehrt. Die großen, mit dem
Bauchschnitt verbundenen Operationen, — insbesondere die Ovariotomie
(das Heransschneiden des Eierstocks), die einige heutige Frauenärzte
hnndert und selbst tausendmal vornahmen, — galten damals, vor der
Einführung der Antisepsis, für verbrecherische, zuchthauswürdige Wage-
stücke, weil sie fast sicher zum Tode führten, wührend sie heute in der
Regel Heilung bringen.

Die Vorlesung unsres Meisters hielt anch die Schlüfrigsten munter,
er sprach srei, geistreich und witzig; jeden Gegenstand, auch den trocken-
sten, wußte er unterhaltend darzustellen. Man hörte ihm mit dem-
selben Vergnügen zu, wenn er die willkürlich aufgestellten Schemata
der Geburtslagen des „symmetrischen" Bandeloeque nnter die über-
lebten Glaubensartikel der alten Geburtshilfe verwies, als wenn er
die Geschichte der Geburtszange oder des Kaiserschnitts vortrng. Weil
seine Rede so leicht und frisch dahin floß, konnte man meinen, er
spräche heiter aufgelegt aus dem Stegreif, aber er hatte sich stets sorg-
fältig auf das Kollegium vorbereitet. Gerne flocht er belehrende Er-

Kutzmaul, A., Jugenderinnerungen. 15
 
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