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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0251

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Franz Karl Naegele.

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einen prächtigen Vortrag, worin er seine schönsten Raketen steigen ließ,
und erzählte ihnen die lehrreichsten und unterhaltendsten Geschichten
von kleinen und großen Böcken, die man auf diesem Reviere schießen
könne. Mit gleichem Geschicke verstand er die tief gesunkene Hoff-
nung der Kranken aufzurichten.

Nach der Konsultation folgten wir einer freundlichen Einladung,
die berühmte Papierfabrik des Verwandten eines der Aerzte zu besichtigen.
Naegele wurde mit großen Ehren empfangen. Die Damen des Hauses
waren begierig, den vielgenannten Frauenarzt kennen zu lernen und er
zog das ganze Register seiner Liebenswürdigkeit auf. Eine der Damen
nahm mich entzückt znr Seite nnd meinte: von allen Geheimeräten
der Welt sei dieser der charmanteste. Kaum war ich mit ihm allein,
so richtete er die Frage an mich: „Jetzt sagen Sie mir, habe ich
meine Sache gut gemacht? Jch habe mein Bestes gethan, um den
Damen zu gefallen, jedoch nur Jhnen zu liebe. Sie sollten sehen,
wie Sie es anfangen müssen, um vorwärts zu kommen. Glauben Sie
mir, ohne Frauengunst bringt es der Arzt zu nichts!"

Am nächsten Morgen kehrten wir auf dem kleinen Dampfschiff,
das damals zwischen Heidelberg und Heilbronn den geringen Verkehr
vermittelte, nach Hause zurück. Naegele bewunderte eine Weile die
liebliche Landschaft, bald aber weihte er seine Aufmerksamkeit der
hübschen jungen Frau eines Landpfarrers, die unterwegs mit ihrem
Manne eingestiegen war. Er vertrieb dem Weibchen mit Plaudern
und Scherzen die Zeit und sie fand großes Gefallen an seiner Unter-
haltung. Der Pfarrer empfand zuletzt eine Anwandlung von Eifer-
sucht; er fragte mich, wer der Herr sei, der mit solcher Galanterie
seine Fran unterhalte. Jch bernhigte ihn, es sei der Geheimerat
Naegele und ich sein Schüler, er mache nur mir zu liebe seiner Frau
die Cour, er habe mich anf eine Konsultation mitgenommen, um mich
das Kurieren und das Courmachen zu lehren.

Frau Naegele, eine liebenswürdige Matrone, die Tochter des
früher erwähnten Geburtshelfers Mai, dankte mir herzlich: Jhr Mann
sei sehr befriedigt heimgekommen; — ich meinesteils versicherte, daß
ich kaum je so viel für die künftige Praxis von meinem Lehrer ge-
lernt hätte, wie auf dieser Reise.
 
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