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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0280

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Poliklinische Lehrzeit.

Arzneimittellehre in tabellarischer Form, 4, 2 Teile," 1836. Ueber-
haupt war kein Mangel an „pharmakodynamischer" Litteratnr. Das
Erstaunlichste an zügellosen Phantasieen leistete der Königsberger
Kliniker Ludwig Wilhelm Sachs in den drei dicken Bänden des „Hand-
wörterbuchs der praktischen Arzneimittellehre", das er mit Fr. Phil.
Dulk 1837 — 39 herausgab. Mein Vater besaß das Buch, ich habe
es längst als Kuriosum an eine Bibliothek verschenkt.

Bei meinem zweiten Besuche tags darauf lobte Jakob meine
Mittel, doch weniger sein Befinden. Er bat um kräftigere Arzneien
zur Stärkung seiner Lebensgeister. Jch gab ihm China, Kampfer und
Benzoe und riet zu altem Wein, der besten Arznei für alte Schenk-
wirte. Diesmal konnte es nicht fehlen, hatte ich ihm doch die besten
Doniea, Lxoitmntia und Lxxoolonanckia ausgefucht.

Leider befiel mich in der Nacht eine heftige Mandelentzündung,
die mich einige Tage an Bett und Haus fesfelte. Da ich keine Nach-
richten mehr aus Neuenheim erhalten hatte, mußte mein Kranker ge-
nefen fein. Mein erster Gang galt ihm. Jch betrat das Häuschen
und das Zimmer, worin er gelegen hatte. Sein Bett war leer. Eine
Frau in tiefer Trauer begrüßte mich: „Herr Doktor, Sie suchen den
Jakob. Er ist bald nach Jhrem letzten Besuche, mitten in der Nacht,
aus diesem irdischen Leben geschieden. Gestern haben wir ihn be-
erdigt. Jhre Arzneien haben ihm bis zur letzten Stunde gut gethan."

Was hatte mein Vater gefagt? „Es wird fchon kommen!" —
Mein erster Patient hatte das Zeitliche gesegnet.

Betrübt wandelte ich über die Brücke nach Hause. Zum Glück
tröstet die Jugend fich rasch. Mir fiel eine Geschichte eins die sich
nach meines Freundes Karl Wieland Erzählung in der Schlierbacher
Poliklinik zugetragen hatte, sie war weit ürgerlicher für den Prakti-
kanten als die meinige. Der Praktikant in Schlierbach, ein medi-
zinischer Bramarbas, eilte eines Tags mit wichtiger Miene dnrch das
Karlsthor zu feinen Kranken, da wnrde er durch einen Leichenzug
aufgehalten; zwei Särge kamen hinter einander mit Geistlichen und
Leidtragenden. Er stellte an den Letzten im Zuge die Frage, was das
bedeute? — „Ei, Herr Doktor, das sind ja die beiden Patienten, die
Sie behandelt haben." — Wütend entgegnete er: „Ei was? ich habe
ja drei behandelt!" _
 
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