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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0290

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Die badische Staatsprüfung.

Mineralien, Droguen, chemische Präparate, anatomische Bilder und
wichtige Jnstrumente vorgelegt und Fragen daran geknüpft.

Eine der drei schriftlichen botanischen Aufgaben hatte eine Be-
schreibung der Pflanzenfamilie der Kreuzblütler oder Cruciferen ver-
langt mit Aufzählung der Arznei- und Küchengewächse, die ihr in
großer Zahl angehören. Am Tage, bevor sie uns zur Bearbeitung
übergeben wurde, war sie durch Zufall zu unsrer Keuntnis gekommen.
Es war nun ganz erstaunlich, wie die sämtlichen Kandidaten über
Nacht die gewiegtesten Cruciferenkenner wurden uud ausgezeichnete
Abhandlungen über diese nützliche Pflanzenfamilie lieferten.

Einer der Kandidaten war badischer Unterthan, sein Vater aber
lebte in Leipzig, deshalb war der Sohn dort aufgewachsen und ein
Schüler der Leipziger Universität geworden. Er wollte jedoch in
Baden die Heilkunst ausüben und machte deshalb seine Prüfung in
Karlsruhe; seine medizinischen Kenntnisse waren gut, er ist ein be-
schäftigter Arzt geworden, in der Botanik aber war er ein gräu-
licher Stümper. — Wir gingen zusammen in die mündliche Schluß-
prüfung des medizinischen Abschnitts und er verhehlte mir unterwegs
seine Besorgnisse nicht. „Es thut mir leid um unsern Examinator,
den Professor Braun," sagte er mir vertraulich, „er soll ein liebens-
würdiger Herr sein; ich habe ihm sicherlich durch eine gediegene
Arbeit über die Cruciferen viele Freude bereitet, aber ich fürchte, ihn
heute zu betrüben, denn aus dieser interessanten Familie kenne ich —
aufrichtig sei es gestanden — nur zwei, von mir sehr geschätzte Kräuter:
den Blumenkohl und das Sauerkraut." — Er sah mich dabei weh-
mütig an und vergeblich suchte ich ihn zu trösten.

Etwas gespannt harrte ich anf den Augenblick, wo Braun unsern
Kollegen einlud, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Mit freundlicher
Miene überreichte er ihm einen prächtigen Stock blühenden Löwen-
zahns mit Wurzeln und Blättern, Linnes Usontoäon Tarnxnenin.
Unter dem Namen „wilde Cichorie", im Elsaß als „Uisso-sn-litT,
kommen ihre gelben Schoße im Frühjahr auf den Markt und dienen
zu einem gesunden Salat oder Gemüse. Unser Freund erkannte das
Krant sofort und rief auf die Frage, wie es heiße, vergnügt: „Es
ist Salat!" — Braun lachte: „Ei, das ist nicht übel! Gewiß kennen
 
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