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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0293

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Die Verlobung.

^obald ich im Besitze des ärztlichen Lizenzscheines war, hatte
ich nichts Eiligeres zu thun, als mich zu verloben. Jch will den
sonnigsten Lenztag meines zur Neige gehenden Lebens beschreiben und
süßen Trank aus dem bitteren Kelche der Erinnerung schlürfen.

Unverdrossen hatten mein Freund und ich durch den ganzen
Sommer 1845 unser tägliches Pensum studiert, der Herbst war ge-
kommeu, die Rebhügel schmückten sich mit buntfarbigem Laub und
dazwischen leuchteten die goldnen und schwarzblauen Trauben hervor.
Mit einemmale ließ der Fleiß des Freundes nach, er lief schon vor-
mittags aus der Klause uud kam erst abends zurück. Unwillig mahnte
ich ihn an unser Gelöbnis beharrlicher Treue, die wir den Büchern
geschworen, er aber lachte, unsre letzten Studien über die Skelette
der Wirbeltiere hätten ihm eine kleine Erholung dringend nötig ge-
macht. Glücklicherweise habe seine Schwester — ein hübsches Kind
von 16 Jnhren — Besuch von drei Pensionsfreundinnen erhalten,
in deren munterer Gesellfchaft er sich bereits besser fühle. Jch möge
darum Nachsicht üben, schon in den nächsten Tagen flögen die reizenden
Vögelchen davon, er verspreche dann durch verdoppelten Fleiß das
Versäumte einzuholen.

Trotz meines Kopfschüttelns eilte er fort, kam jedoch gegen
Abend früher als in den letzten Tagen zurück, um mich zu einem
Spaziergang aufzufordern. Wir gingen ein halbes Stündchen und
kamen auf dem Rückweg an einem Rebgarten feines Vaters vorbei.
Hier machte er Halt und lud mich ein, in dem Garten die Trauben
 
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