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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0298

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278

Eine Lektion bei der alten Frau Doktorin.

Vorbild in zehn Gebote gekleidet, schlug sie öffentlich an, wie Luther
seine Thesen, und verteidigte sie öffentlich in Vorträgen gegen mäßiges
Eintrittsgeld. Er eiserte wider die geistigen Getränke und das „stink-
giftige Schmauchkraut", rühmte das Wasser und pries bombastisch die
gütige Mutter Natur nach Art der heutigen Naturürzte. Böse Zungen
sagten ihm nach, sein Gesetz sei strenger, als der Apostel gegen sich
selbst, und behanpteten fest, sie hätten Mahner in weltlichem Gewande
bei Trüffelpastete und Sherry im Hinterstübchen eines Mannheimer
Restaurants überrascht.

Auf diesen wunderlichen Heiligen kam bei Tische häufig die
Rede. Er hatte auch unter den Studenten einige Jünger gefunden.
Einer von ihnen, ein Philologe und Sonderling, saß unter uns am
Tische, ohne daß wir wußten, wie nahe er Mahner stand. Er blieb
stumm bei unseren Gesprächen und Scherzen und schaute gemessen
und ernst darein, wie der Gerechte unter den Sündern. Zuletzt
merkten wir doch, daß sein Gesicht noch tiefere Falten zog, wenn wir
auf Mahner zu sprechen kamen, nach einigen Wochen verschwand er
und kam nicht wieder. Es wurde uns erzählt, er steige jetzt mit
seinem Meister täglich auf den Königsstuhl, um dort oben im Walde
auf den Wegen und Halden Sonnenbäder zu nehmen; sie liefen fast
unbekleidet barfuß einher. Leider hatte die Polizei kein hygienisches
Einsehen, sie verbot diese stärkenden Uebnngen, um den Damen der
Stadt den verleideten Besuch des Köuigsstuhles wieder zu er-
möglichen.

Ernst Mahner war wirklich ein ungewöhnlich abgehärteter Mensch.
Die Zeitungen berichteten von einem erstaunlichen Schauspiel, das er
an einem sonnigen Wintertage den Bewohnern von Mainz bereitet hatte.
Auf einer Eisscholle stehend, in Sandalen und nur an den Hüften
bekleidet, soll er, einen Becher Rheinwassers schwingend, auf dem Strom
an der Stadt vorbei getrieben haben. — Der Abhärtung ungeachtet
hat er kein hohes Alter erreicht. Verkommen im Elend, starb er im
städtischen Hospital zu Konstanz, wie mir mein Freund und Schüler,
Medizinalrat Dr. Honsell, der ihn dort behandelt hat, erzählte.

Jn diesen Sommer stel auch der berühmte^Brand im Hutzel-
wald, der dem pfälzischen Poeten Nadler zu dem lustigsten seiner
 
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