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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0305

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Wunderkuren.

285

Als Student erlebte ich eiue solche Kur in meines Vaters
Praxis. Jch ging mit ihm an der Wohnung eines kleinen Handwerkers
in Wiesloch vorbei, dessen Frau er an einem unheilbaren Krebsleiden
behandelte. Der Mann, ein guter Mensch und meinem Vater auf-
richtig zugethan, hatte ihn kommen sehen, lief eilig heraus und lnd
ihn ein, ins Haus zu treten und sich von der unerwartet ersolgten
Heilung seiner Frau zu überzeugen. Es sei ein großes Wunder ge-
schehen. Die Frau habe hinter dem Rücken ihres Mannes einen Wunder-
doktor kommen lassen, einen Bauern aus einem entfernten Dorfe,
der im Rufe stehe, schon viele, in den Augen der Aerzte unheilbare
Kranke rasch kuriert zu haben. Der Doktor sei heute dagewesen, habe
der Kranken den Leib mit Salbe bestrichen, die Krankheit mit geheim-
krüftigen Worten besprochen und ihr znletzt befohlen, im Namen Gottes
ausznstehen und zu wandeln. Darauf habe sie das Bett verlassen, was
sie seit vielen Wochen nicht mehr gekonnt, und wandle jetzt ohne Stütze
durch das Zimmer. Mein Vater ließ mich mit zu der Kranken gehen,
das arme Weib, blaß und abgezehrt, stand wirklich frei im Zimmer,
blickte verzückt zum Himmel, nnd pries die Gnade Gottes und
den Wnnderthäter, der ihr geholsen habe. — Die ungeheuere Auf-
regnng, worin sich die Kranke befand, beschleunigte den tötlichen
Ansgang des Leidens, nach wenigen Tagen trug man sie auf den
Friedhof.

Die Psychologie beginnt erst seit kurzem, die Vorgänge im Nerven-
system da, wo leibliches und seelisches Geschehen sich verflechten, mit den
Strahlen der psychophysischen Untersuchungsmethoden zu beleuchten.
Noch immer herrscht hier tiefe Dunkelheit und es giebt kein Gebiet
der Medizin, wo der Aber- und Wunderglanbe größere Triumphe
feierte, als gerade auf diesem. Phantasten und Schwindler treiben
hier ihr geschäftiges Wesen und selbst der ernste Forscher fällt leicht
in gefährliche Fallstricke.

Die Rolle, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts der tierische
Magnetismns ausschließlich spielte, mnß er hente mit dem Hypno-
tismus und der Suggestion teilen. Es gelten jedoch auch für diese
modernen Kurmethoden die Warnungen, die der welterfahrene Stro-
meyer im ersten Bande seiner Erinnernngen (S. 344, 347, 417) an
 
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