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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0307

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Wunderkuren.

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heit brachte, weil verschiedene andre Verfahren völlig versagten, ange-
wendet, und die Krämpfe verschwanden fast augenblicklich. Sie hatten
schon einen halben Tag anhaltend fortgedauert, das Schaufpiel war
üußerst traurig, die Ursache eine tuberkulöse Entzündung der Rücken-
marks- und Gehirnhäute, die sich zu einer Caries der Rückenwirbel
gesellt hatte. Der Vater war Naturforscher und mir befreundet, ich
schlug ihm vor, das unschädliche Mittel zu versuchen. Es waren
Tauben zur Hand, man holte ein prächtiges, gut gefüttertes, warmes
Tierchen aus dem Taubenschlag und legte es nach Vorschrift an.
Nach wenigen Sekunden festen Anpressens, wobei die Taube heftig
zitterte, streckte sich der Knabe wie bei Tetanus, und damit hatten die
Zuckungen ein Ende, kamen auch bis zum Tode, der nach 24 Stunden
eintrat, nicht wieder.

Nicht lange nachher leistete mir eine modisizierte „Taubenkur"
eigener Erfindung gute Dienste bei einem alten, von argen „Herz-
krämpfen" schon lange heimgesuchten hysterischen Fräulein. Die Dame
stammte aus vornehmem Hause und war schon mit 16 Jahren wegen
nervöser Leiden nach Heidelberg in die magnetische Behandlung des
erwähnten Professors Schelver gebracht worden, doch hatte er wenig
ausgerichtet. Die Dame wurde allmählich an den Beinen gelähmt.
Sie ließ sich eine kleine Villa in Neuenheim bauen. Als ich zu ihr
gebeten wurde, hatte sie ihre Villa seit mehr als 30 Jahren nicht
mehr verlassen und seit 16 Jahren nicht mehr das Bett. Nach dem
Tode Schelvers war sie homöopathisch behandelt worden, seit einigen
Jahren hatte sie keinen Arzt mehr beigezogen. Ein treuer Kreis von
Freundinnen scharte sich täglich um die liebenswürdige Kranke, eine
von ihnen widmete sich ihr ganz, wohnte bei ihr und besorgte Hans
und Küche, nachmittags kamen die andern von Heidelberg herüber.
11m drei llhr wnrde sie regelmäßig von „Herzkrämpfen" befallen, die
Arme litt unsüglich, sie versicherte bestimmt, ihr Herz bleibe oft zehn
Minuten lang stehen! Die Freundinnen litten mit ihr, sie umstanden
das Bett, die einen jammernd, die andern tröstend, wieder andre
hilfreich beispringend mit kölnischem Wasser, englischem Riechsalz,
zarten Reibetüchern u. dgl. unentbehrlichen Dingen.

Zu dem Kreise dieser barmherzigen Gemeinde fand ein gut-
 
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