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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0308

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Wunderkuren.

mütiger Sachse, ein stuä. chrn., Zutritt. Die Damen meinten, mag-
netische Kräfte an ihm zu verspüren und baten ihn, einen Versuch
damit an der kranken Freundin zu unternehmen. Er ließ sich dazu
bewegen, es war kein Zweifel, seine Striche wirkten wohlthätig auf
das gequälte Herz, und von nun an fuhr er jeden Nachmittag mit
der Fähre über den Neckar zu der Dnlderin, die feinem Fluidum mit
Sehnsucht entgegenharrte. Aber er hatte feine Kraft überfchätzt, am
Ende des Semesters fühlte der Samariter sich erschöpst und elend,
er mußte Heidelberg verlaffen und suchte auf Rigikaltbad Erholung.

Bald nachdem der gute Sachfe abgereist war, wählte mich eine
der Frenndinnen zu ihrem Arzte. Sie entdeckte an mir, was ich
nicht gewußt, nicht einmal geahnt, magnetische Kräfte und veranlaßte
die Kranke, mich zu sich zu bitten. Hier erfuhr ich erst von meinen
verborgenen Tugenden und weshalb man mich begehrte. Jch follte
die magnetische Kur, die der Kranken fo wohlthätig gewesen, aufs
neue aufnehmen. Sie flehte mich nm Lindernng ihres Leidens an
und erweckte meine aufrichtige Teilnahme. Jhre edeln und feinen
Züge, ihr weiches Silberhaar unter dem weißen Spitzenhäubchen, ihre
fanfte Stimme und Duldermiene rührten mich, aber die magnetische
Behandlung mußte ich ablehnen. Jndem ich erwog, wie ich ihr nützen
könne, fiel mir die Taubenkur ein. Jch erzählte ihr von dem Volks-
glanben, wonach schon die Gegenwart dieser, angeblich so sanften Ge-
schöpfe im Krankenzimmer die Nerven beruhige, und was ich kürzlich
in der Praxis erlebt hatte. Jch fchilderte ihr das Verfahren bei
Krämpfen der Kinder, schlug ihr vor, Tanben anzuschaffen und
beim Nahen der Herzkrämpfe sie an das Herz,- den leidenden Teil,
zu pressen. Meine Worte machten sichtlich Eindruck und ich em-
pfahl mich.

Nach vierzehn Tagen wurde ich wieder gerufen. Als ich die
Thüre des Krankenzimmers öffnete, gurrte mir ein zärtliches Pärchen
Turteltauben entgegen. Die Freundinnen hatten Erkundigungen ein-
gezogen und erfahren, daß von allen Tauben die Turteltauben die
meiste beruhigende Kraft besäßen. Die Kranke dankte mir herzlich;
mein Rat hatte sich bewährt. Sie hatte dabei eine merkwürdige Be-
obachtung gemacht. „Jch habe gefunden," erklürte sie, „daß ein Unter-
 
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