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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0325

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Prüfung auf dem Krankenbette.

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mir eingekehrt, sondern ein ganz gemeiner Gelenkrheumatismus und
der schlimme Geselle werde sechs Wochen lang das Lager mit mir teilen.

Meinem Bettgenossen gefiel es sogar noch länger bei mir,
und er übte seine tückischen Künste an meinen Gelenken mit besonderem
Mutwillen. Er sprang fast täglich auf neue, auch solche, die er meist
verschont, z. B. die Kiefergelenke und die Verbindungen der Nacken-
wirbel, ergriff oft mehrere zugleich und einige wiederholt. Jch lag
unbeweglich anf dem Rücken, wie ein Käfer, den böse Buben mit der
Nadel lebend auf ein Brett spießten, und konnte kein Glied rühren
vor Schmerzen. Jn Schweiß gebadest wnrde ich von Friesel krebsrot
nnd lag an mehreren Stellen aus.

Nach einigen Tagen empfand ich morgens Stechen in der Herz-
gegend mit Beklemmung. Pseufer stellte die Diagnose auf Entzündung
des Herzbeutels; er gab meinem Vater sogleich Nachricht von meiner
Erkranknng und seinem Befunde, ohne mich von dem Briefe in Kennt-
nis zu setzen. Abends wurde ich von dem Besnche meines Vaters
überrascht und aufgeregt. Jch hatte stets seine Ruhe am Kranken-
bette bewundert, heute verließ ihn die Fassung. Schluchzend trat er
zn mir, Pfeufer mnßte ihm meinen Zustand als bedenklich geschildert
haben; er that mir unsäglich leid. Um ihn zu bernhigen, stellte
ich mich ärgerlich über seine unnötige Erregtheit, mein Befinden sei
bereits gebessert, er möge getrost heimkehren. Er nahm sich zu-
sammen nnd verweilte nicht lange. — Jch überdachte, nachdem er
weggegangen war, meinen Znstand mit der größten Gemütsruhe und
bedauerte, falls ich stürbe, nur meinen Vater, der so große Opser
vergeblich gebracht haben sollte. — Sechs Jahre später sah ich dem
Tode abermals ins Gesicht. Wie anders war es mir da zn Mnte!
Jch besaß Familie und sollte sie unversorgt zurücklassen.

Die Behandlung meiner Krankheit bietet nur wenig Jnteresse.
Jch nahm keine andern Arzneien als ein Wiener Tränkchen am ersten
Tag und wegen der gänzlichen Schlaflosigkeit und gesteigerten Schmerzen
in der Nacht vom Ende der ersten Woche an jeden Abend eine kleine
Gabe Morphium: einen Viertelgran. Pfeufer verordnete mir Colchicum,
aber ich konnte mich nicht entschließen/ es zu nehmen. Anf das Herz
ließ er mir einige Tage lang einen Eisbeutel legen. Meine ent-
 
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