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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0328

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308

Prüfung auf dem Krankenbette.

dem Krankenbette und nicht bloß an ihm geprüft wurde, weiß den
Wert eines mitfühlenden Blickes, eines guten Wortes zur rechten Zeit
am besten zu fchätzen; den Physiologen läßt es gleichgiltig, wie die
Kisfen für den Kranken gelegt werden, für den praktischen Arzt ist es
eine ernste, wichtige Sache.

Mit dem Eintritt der Wiedergenesung bemächtigte sich meiner ein
Wolfshunger, der Magen versuchte sogar eines Tags zu meinem Schrecken
mit ungestümen Forderungen die sanste Stimme des Herzens zu über-
tönen. Jch war bereits außer Bette, als sich mir meine Braut und
meine älteste Schwester zu Besuch ansagten. Jch ließ ein Mahl richten
und wir speisten zusammen. Da gerieten in meinem Jnnern zwei
Stimmen feindlich an einander. Tie eine kam aus dem Herzen und
ermunterte die lieben Kinder: „Jhr guten Mädchen. greift fleißig zu
und laßt es euch schmecken!" Die andre murrte aus der Tiefe: „Jch
beschwöre euch, laßt mir genug übrig!" — Gottlob, sie aßen be-
scheiden, wie Vögelchen, die knurrende Stimme verstummte und das
Herz hüpfte vor Freude.
 
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