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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0332

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Der Frühling 1847.

gegen die höheren auf. Geheime Gesellschaften waren unermüdlich an
der Arbeit, das Königtum zu stnrzen. Presse und Bühne eiferten um
die Wette gegen die Verworfenheit der Bourgeoisie und Aristokratie
und priesen mit glänzenden Phrasen die arme und tngendhafte Welt
der ANM4H8 äs RniÜ8 und der onviüsi^ seiner Vorstädte.

Die jungen Mediziner hatten in Paris fleißig eingekauft und
sich sür die Praxis mit chirurgischen Jnstrumenten und ganzen Be-
stecken bei Charriore und Luer, einzelne anch schon mit Mikroskopen
bei Oberhäuser, ausgerüstet. Dies ist jetzt anders geworden; wie in so
vielen Dingen hat sich anch darin Deutschland unabhängig von Frank-
reich gemacht und fabriziert selbst vorzügliche Jnstrumente.

Das Neuste, was die Freunde mitbrachten, war die große Er-
findnng der Aetherbetäubung zu schmerzloser Ausführung chirurgischer
Eingrisfe. Am 13. November 1846 hatte Elie de Beaumont der
Akademie der Wissenschaften einen Brief seines Frenndes, des Medi-
ziners und Natnrforschers Charles Jackson aus Boston. mitgeteilt; eine
neue Epoche derChirurgie begann. Auf den Rat Jacksons hatte derZahn-
arzt Morton am 1. September mit Hilfe eingeatmeten Aetherdunstes zum
erstenmal eine Zahnoperation schmerzlos vollzogen, und der Chirurg
Warren am 16. Oktober eine Geschwulst am Halse entfernt. Seit
Jenners Einführung der Kuhpockenimpfung hatte keine Erfindung im
Gebiete der Heilkunst Aerzte und Publikum so müchtig bewegt, wie diese
amerikanische, die über Paris ihren Einzng in die alte Welt halten sollte.

Die Physiologen und Aerzte der französischen Hauptstadt hatten
die einschläfernde und schmerzstillende Kraft des Aethers sofort be-
stätigt und näher studiert, auch Apparate zur wirksamsten Einatmung
der Dünste ersonnen, die Heimgekehrten brachten sie mit. Pfeufer
wünschte, Versuche über die Aetherwirkung zu machen, wozu sich ihm
die jungen Aerzte zur Verfügung stellten. Auf meinem Studierzimmer
wurden sie ausgeführt und von Pfeufer im 6. Bd. der Zeitschrift für
rat. Medizin veröffentlicht. Einer unsrer Frennde verriet in dem
Stadium des Aetherrausches, das dem Schlafe vorausgeht, ein süßes
Geheimnis, woran wir natürlich herzlichst teilnahmen. Jn zürtlichen
welschen Worten beteuerte er der verlassenen Pariser Freundin seine
deutsche Treue.
 
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