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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0340

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München.

verlangte Abbitte zu thun. Erst das Jahr 1848 verschastte dem
Dulder die Freiheit.

Auch die deutsche Muttersprache versuchte der König unter sein
absolutes Regimeut zu beugeu, aber sie spottete seiner. Stauneud
skandierten wir seine Distichen uuter den Arkaden und stolperten ver-
gnügt über die ungelenken Versfüße.

Wir waren den ganzen Tag unterwegs, es gab so unendlich
viel zu sehen, und keine der Schöpfungen des kunstsinnigen Königs
sollte uns entgehen. Eine einzige Stnnde nur verwendeten wir auf
das medizinische München.

Die beiden bedeutendsten Männer, die seit der Verlegung der
Landshuter Universitüt 1826 nach München an der medizinischen Fa-
kultät gewirkt hatten, waren Jgnaz Döllinger, der 1841 starb, und
Philipp von Walther. Man hatte Walther, den geistvollen und be-
rühmten Chirurgen, der sich früher schon in Landshut als Physiolog und
Chirurg eines großen Rufs erfreut hatte und 1818 nach Bonn be-
rufen worden war, wo er als chirurgischer Lehrer und Praktike^ eine
außerordentliche Verehrung genoß, 1830 nach München geholt; bald
aber berente er bitter, dem Rufe nach Baiern gefolgt zu sein. Die
Ranke der mächtigen Gegner im Schoße der Fakultät zwangen ihn
1836, seine Klinik an den heute vergessenen Professor Wilhelm ab-
zutreten und nur noch Vorlesungen abzuhalten. Chelius und Pfeufer
hatten des ausgezeichneten Mannes so oft in tiefer Verehrung ge-
dacht, daß wir begierig waren, ihn zu sehen, und ihn im Hörsaale auf-
suchten, aber wir trafen es schlecht. Zwar seine imponierende Per-
sönlichkeit ersüllte uns mit Ehrfurcht, aber das Thema aus der Augen-
heilkunde, worüber er vortrug, war das denkbar unglücklichste. Er
las über die Oplltlln4iniu trüe1iollia4o8n, zu deutsch: die Augen-
entzündung beim Weichselzopf. Dieser Zopf ist heute mit vielen
andern Zöpfen aus der Medizin beseitigt. Damals galt er noch für
ein endemisches, an klimatische Schädlichkeiten der Weichselländer ge-
bundenes Leiden des Kopfhaars, in Wirklichkeit aber ist er ein
Erzeugnis der Unreinlichkeit ihrer Bewohner, die zur unlösbaren
Verfilzung der Haare führt, und weicht der Schere und Seife.
Walther beschrieb den Weichselzopf genau und handelte drei Viertel-
 
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